nd-aktuell.de / 01.10.2004 / Kultur

Sido: vom Loch zum Loft

HipHop auf der Berliner Musikmesse Popkomm

Timm Ebner

Ich wohn' noch in 'nem Loch doch bald in einem Loft« rappt der Berliner HipHoper Sido auf seinem Debütalbum »Die Maske«. Das Ziel scheint realistisch. Er erreichte schon den dritten Platz der deutschen Album-Charts, die Journalisten reichen sich die Türklinke seiner Wohnung im Berliner Norden in die Hand. Dennoch wird der neue Superstar des deutschsprachigen HipHop heute nur im Rahmen der »Bravo Super Show« auf der Popkomm in Berlin zu sehen sein.
Was ihn zu einem Pop-Phänomen gemacht hat ist wohl nicht zuletzt seine Maske. Der Totenschädel aus verchromten Kunststoff war eine Idee des Geschäftsführers seines Labels »Aggro Berlin«, der sich Specter nennt. Auch der Titel seines Albums hat keinen anderen Zweck, als zur Etablierung des Markenzeichens beizutragen. »Erst die Maske hat mich berühmt gemacht«, wie Sido selbst sagt.
Aber Sido ist nicht einfach nur eines unter vielen kurzlebigen Pop-Phänomenen, er hat vor allem auch innerhalb der HipHop-Szene einen Namen. Er hat sein aktuelles Werk als »erstes deutsches Rap-Album« bezeichnet, was in diesem Fall nicht nur Ausdruck des szeneüblichen Narzissmus ist.
HipHop ist mit mehr als zehn Jahren Verspätung Anfang der Neunziger in Deutschland angekommen, hat sich jedoch nie in größerem Rahmen zu einem Bereich jenseits des Mainstream-Pop entwickeln können. Sido ist der erste Rapper, der nicht einfach nur Musiker ist, sondern der es verstanden hat, sich darüber hinaus mit einer authentischen Biografie auszustatten. Zunächst durch seine skandalträchtige Inszenierung zum Kleinkriminellen, die - zumindest von weitem - an den US-amerikanischen »Gangsta-Rap« erinnert.
Entscheidender ist jedoch, dass Sido sich als Teil der Berliner Unterschichten präsentiert, als »Lumpenproletarier«, wie der linke Ex-Rapper der Gruppe Anarchist Academy, Hannes Loh, schrieb. Vor allem indem er das Märkische Viertel, den Problemkiez in Reinickendorf, als sein städtisches »Ghettoloch« vorstellt. »In Deutschland gab's noch keinen der so richtig über Straßenzeug geredet hat« erklärt sich Sido seinen Erfolg. »Mein Rap ist politisch, weil ich von Gegenden berichte, in denen es nicht so toll aussieht. Mein Rap ist politisch, so wie "The Message" politisch war«. Das 1981 erschienene Lied von Grandmaster Flash, auf das Sido sich hier bezieht, war seiner Zeit ein Durchbruch, der HipHop zur Kultur der New Yorker Unterschichten machte. So ironisch die Lieder zum Teil ankommen, so sehr sind sie nur durch ihre Inszenierung eines Großstadtlebens jenseits bürgerlicher Existenz wirksam. »Endlich Wochenende/Endlich viele Drogen nehmen/Los wir werden high/Endlich is' wieder 'ne scheiß Woche vorbei«.
Problematisch ist vor allem der Sexismus, der in der gesamten Szene grassiert und momentan dort sogar als entscheidender Bestandteil der »Ghetto«-Glaubwürdigkeit von Rappern wahrgenommen wird. Der »Arschficksong«, Sidos erster Single-Erfolg, schildert detailliert seine sehr einseitige Vorstellung von Sexualität: »Katrin hat geschrien vor Schmerz«. »HipHop ist Männerauffanglager«, fällt dem Label-Chef Specter dazu nur ein. Das Schock-Niveau seiner Texte ist wohl auch der Grund, weshalb er in den pubertären Rahmen der »Bravo Super Show« abgeschoben wurde. Dem sexistischen und homophoben Gehalt seiner Texte wird dies allerdings auch nicht gerecht werden.
Die männliche Dominanz der HipHop-Szene ist jedoch nicht mehr unangefochten. Es gibt immer mehr Frauen, die rappen, und sich dabei immer weniger an den vorgefertigten Rollenklischees der von Machos dominierten Szene orientieren. Das Web-Projekt »Female HipHop« will nun zum Netzwerk von und für »alle weiblichen HipHop-Aktivistinnen werden«. Gestartet wurde das Projekt in Berlin und soll einen Beitrag leisten, »die bisher nicht erzählte Geschichte von Frauen im HipHop zu erzählen«, wie auf der Webseite zu erfahren ist. Und es sollen nicht nur die Geschichten von Superstars wie Missy Elliot sein, sondern zum Beispiel auch die der Rapperin Pyranja aus Rostock.
Im Rahmen solcher Projekte scheint es möglich, gegen die männliche Dominanz anzugehen. Zumindest wohl eher, als wenn man auf die Selbstheilungskräfte des von Männern dominierten Teils der Szene setzt, die in ihrem extremen Sexismus letztlich nur gesamtgesellschaftliche Zustände repräsentiert.

www.femalehiphop.net