nd-aktuell.de / 21.06.1996 / Politik / Seite 14

Gertrud Kühnlein

Mitarbeiterin des Landesinstituts Sozialforschungsstelle in Dortmund

? In einer jüngst von Ihrem Institut veröffentlichten Studie geht es unter anderem um die Entwicklung der Berufsschulen in den neuen Bundesländern. Was hat sich denn dort in den letzten sechs Jahren getan?

Das westliche Ausbildungssystem wurde zunächst in den Osten transportiert. Das geschah zwar systemkonform, nicht aber realitätsgerecht. Man hat die Struktur des dualen Ausbildungssystems einfach übertragen, ohne zu bedenken, daß im Osten das betriebliche Standbein weitestgehend weggebrochen ist. Für die Berufsschulen bedeutet dies eine Menge Probleme, vor

allem leidet die Planbarkeit des Unterrichts, was auch Folgen für die Qualität der Ausbildung hat. Auf der anderen Seite hat sich für die Lehrer einiges in positiver Hinsicht getan.

? Welche Auswirkungen hatte die Entwicklung der vergangenen Jahre auf die Berufsschullehrer in den neuen Ländern?

Der Großteil der Lehrer wurde aus dem DDR-Berufsbildungssystem übernommen. Allerdings mußten alle sich nachqualifizieren, teilweise auch umschulen lassen. Die Berufsschullehrer konnten im Prinzip nur auf etwa 50 Prozent ihres früheren Wissens zurückgreifen, die andere Hälf-

te mußten sie neu erlernen. Vor allem waren sie gefordert, sich auf ein neues Berufsbild einzustellen. In der DDR sind sie auch stärker mit der Freizeit der Jugendlichen beschäftigt gewesen. Zudem waren die Berufsschulen enger an die betriebliche Produktion gekoppelt.

? Sie haben Ihre Untersuchung in Brandenburg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt. Welche Unterschiede zwischen den drei Ländern haben Sie dabei festgestellt?

Es gibt in erster Linie Unterschiede in der Frage, wie die Übernahme der DDR-Be-

rufsschullehrer praktiziert wurde. Die größten Differenzen gab es dabei zwischen Brandenburg und Sachsen. In Brandenburg wurde keinem Lehrer gekündigt, es sei denn, es lag ein Negativbescheid der Gauck-Behörde vor Durch die Arbeitszeitverteilung konnten so wesentlich mehr Lehrer übernommen werden als in Sachsen. Zunächst war dieses Modell umstritten. Inzwischen wird vor allem von den Lehrern das Brandenburger Modell als das bessere gesehen.

? Sie sprechen davon, daß das duale Ausbildungssystem quasi als Kopie vom Westen übernommen wurde, allerdings mit zahlreichen

Mängelerscheinungen. Was müßte sich Ihrer Meinung nach ändern?

Aus der Tatsache, daß das duale System so im Osten nicht funktioniert, müssen bildungspolitische Konsequenzen gezogen werden. Notwendig sind nach meiner Auffassung neue Konzepte, die dem vom Staat zu verantwortenden Teil eine stärkere Rolle zukommen lassen. Das ständige Warten darauf, wann und wie sich die Betriebe auf das neue Ausbildungsjahr einstellen, muß ein Ende haben. Die Politik ist gefordert, die Rolle der Berufsschulen zu stärken.

Fragen: Jürgen Amendt Foto: privat