? Einer Studie zufolge zeigen 40 Prozent der brandenburgischen Lehrer Symptome von Überforderung. Wo sehen Sie die Ursachen?
Die Betroffenen zeichnen sich nach ihrer eigener Aussage durch ein überhöhtes berufliches Engagement mit einer deutlichen Tendenz zur Selbstüberforderung aus. Sie engagieren sich fachlich und pädagogisch und setzen sich selbst mit hohen Ansprüchen unter Druck, Mißerfolgserfahrungen, die sie sich nicht selten selbst ankreiden, führen zu noch größeren Anstrengungen. Wesentlich ist, daß diese Lehrkräfte nicht abschalten
können, ihrer beruflichen Anspannung folgt keine angemessen lange und intensive Entspannung. Es ist eine Art von »Nachwendestreß«: Neue fachliche und pädagogische Herausforderungen sind zu meistern, Schule ist heute im positiven wie im negativen Sinne lebhafter und aufregender geworden, Lehrer sind als Vertrauenspersonen für private Probleme von Schülern gefragt, sie reflektieren sich selbst und ihre Rolle heute mehr als früher Auch macht sich die Verantwortung bemerkbar, auf das zukünftige Leben vorzubereiten.
? Welche Konsequenzen
müßten Ihrer Meinung nach gezogen werden?
Das Moment der Kollegialität muß gestärkt werden. Ich halte es für eminent wichtig, daß in den Lehrerkollegien mehr Erfahrungsaustausch, gegenseitige Hilfe und Unterstützung stattfindet. Damit die Lehrer nicht mehr isoliert ihre Probleme zu bewältigen versuchen, kommt den Schulleitungen eine entscheidende Rolle zu. Sie sind als Beratungspersonen gefragt, die für die Probleme der Lehrkräfte ein offenes Ohr haben.
? Ist die Überbelastung nicht auch auf den Personalmangel zurückzuführen?
Wünschenswert wäre es natürlich, vor dem Hintergrund rückgehender Schülerzahlen die Personalausstattung der Schulen auf gleich hohem Niveau zu halten und auf diese Weise pädagogische Verbesserungen zu erreichen. Angesichts der katastrophalen Finanzlage der Länder wird das eher Wunschtraum sein. Andererseits hat die Studie aber keine Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen der von den Lehrkräften empfundenen Überbelastung und angeblichem Personalmangel geliefert. Auch hat sich die Schüler-Lehrer-Relation nicht wesentlich verändert. Wir stehen eher vor dem Problem, wie
sich die Schule als Betrieb definiert, der sich darum sorgt, wie die Zufriedenheit und das Engagement der Mitarbeiter erhalten und entwickelt werden kann. Dafür brauchen wir die Bereitschaft der Lehrkräfte, sich nicht mehr vorrangig als Einzelkämpfer zu begreifen, die Verständigung über gemeinsame Ziele sowie die Wege, diese zu erreichen, und wir brauchen kollegiale Unterstützung. Das Land bietet Unterstützung für die Schule in Form von Fortbildung, Beratung und Moderatorentätigkeit.
Fragen: Jürgen Amendt ND-Foto: Burkhard Lange