nd-aktuell.de / 16.03.2005 / Kultur

Lobreden auf den Entengang

Hans-Dieter Schütt
Darf man Autobiografie sagen? Muss man überhaupt etwas sagen, das nach Definition klingt? Das Buch erzählt vom Wohnen am Hohen Timpberg. Kennt niemand. Es erzählt auch von Goethe und Heine. Kennen alle. Der Olymp ist bekannter als ein Hügel im Brandenburgischen. Eberhard Esche geht vom Häuslichen aus und verbreitet sich - Goethe! - in die Welt. Er kommt aber immer wieder bei sich selber an. Bei der traurigen Erkenntnis, dass er jetzt so alt ist wie seine Oma Minna damals zu seinen Kinderzeiten. Und bei der ebenso traurigen Erkenntnis, dass er den Gevatter Tod nun Bruder nennt. Aber vielleicht ist das die traurigste Erkenntnis: dass Theaterspielen »in diesen einst großes Theater bietenden Häusern nicht mehr lohnt«. Das ist der Satz, nach dessen Aussprechen höchste Vorsicht geboten ist, denn meistens gehen die Gaukler dann zum Fernsehen. Aus der Geltung hin zum Geld. Vorher waren sie bekannt, jetzt sind sie populeer. Esche ist anders. Esche, der sich »Hagestolz« nennt, vereinsamt lieber, er nimmt aber noch Notiz, vor allem von sich. Von seinen Erfahrungen mit der DDR. Mehr an Raum hat Esche nicht zu bieten, aber das genügt für den Schreib-Triathlon Weltall-Erde-Mensch. Es kommt zu wunderbaren Sätzen, die auf den Punkt bringen, was nicht zu erklären ist: »Daß von den Regierenden die Künste ernst genommen wurden, hielt ich für selbstverständlich, und war dagegen, dass sie es taten.« Da haben wir sie, diese ewige Gleichzeitigkeit von Dafür und Dagegen, von Hinwendung und Abkehr, von Bejahung und Zweifel. Auch Esche: ständige Republikflucht über die Grenzen des Möglichen - Flucht, die nur tiefer ins Land führte. Andere nannten das Parteilichkeit. Esche würde sich das (vielleicht!) verbitten - und nach einem anderen Wort suchen. So wie ja gern vom aufrechten Gang geredet wird. Esche dagegen schreibt zwei Kapitel über den Entengang - menschennäher geht nichts. Darin eingebettet sein eigener Weg von einem, der um sich biss wie »eine an die Kette gelegte Kampfratte«, hin zu einem, der heute den »Leuten vom Bürgerrechtsgewerbe mit ihrer ewigen DDR-Widerstandsglocke« sagt: »Nicht jeder Dummejungenstreich ist politisch«. Am prächtigsten ist Esche in seinen Irrtümern. »Ein blühender Sozialismus hat im Gegensatz zum blühenden Kapitalismus die Fähigkeit zu großen Kunstleistungen.« Das stimmt ja nun überhaupt nicht, da kann sich der Autor orgiastisch noch so heiser jauchzen am Namen Hacks, und da hilft ihm auch nicht, das er mal in Horst Salomons »Lorbass« mitgespielt hat. In den blühenden Landschaften, die gelogen oder zerstört sind, liegen (leider!) weit mehr Hoffnungen der Kunst - wenn Kunst denn ein anderes Wort für Gegenwelt ist. Aus Befürwortung entsteht Liebe, ja, das Gedicht über die Liebe aber kommt aus der Erschütterung durch Verlust, und sei es als Ahnung. Die böse Ahnung ist der Ursprung aller Kunst, auch aller Hymnen. - Ein wirklich schönes Buch. Anekdoten, Reden, Reflexionen und Theatergeschichte. Natürlich kommt der gütige, gute Schauspieler-Kerl Dieter Franke vor! Esche ist ein witziger, grüblerischer Autor, der Wehmut oft hinter Sarkasmus versteckt, aber immer ganz sanft wird in seinem Verständnis für die Unergründlichkeit menschlicher Beweggründe. Er hat für seine Vereinsamung eine Ausdrucksmöglichkeit gefunden. Das Privileg hat nicht jeder, und Esche hatte schon manches Privileg - als es noch eine Kunst war! Er geht einem mit seiner Widerspruchslust auf den Geist. So merkt man ihn. Esche freilich geht nicht. Er tritt. Nicht zu, sondern auf. Hat festen Boden unter den Füßen und hört doch nicht auf, den als Bretter zu benutzen. Sie halten. Und: Sie knarren nicht! Wie es altes Holz so gern tut. Eberhard Esche: Wer sich grün macht, den fressen die Ziegen. Autobiographische Geschichten. Eulenspiegel Verlag. 420S., geb., 19,90 EUR.