nd-aktuell.de / 20.12.1997 / Politik / Seite 15

Die ersten Opfer

Franz Preiß

August Lütgens mit seiner Frau Lisa und den Kindern Franz und Elsa

Im Juli 1932 versuchen Sturmtrupps der SA in Arbeiterwohnungen des Hamburger Stadtteils Altona einzudringen. Die Arbeiter setzen sich zur Wehr. Es wird geschossen, 16 Arbeiter sterben und zwei SA-Leute. Verantwortlich gemacht werden nicht die Angreifer, sondern die Angegriffenen. Unter den Verhafteten auch August Lütgens, geboren am 16. Dezember 1897 in Lübeck. Ein Jahr später steht er mit weiteren 21 Arbeitern vor den Schranken eines Nazigerichts.

Der international Aufsehen erregende »1. Altonaer-Blutsonntag-Prozeß« basiert

auf einer konstruierten Anklage, es gab keinerlei Beweise für irgendeine Schuld der Angeklagten, dennoch fällten die Blutrichter das Todesurteil. Am 1. August 1933 wird der Seemann August Lütgens zusammen mit Bruno Tesch, Walter Möller und Karl Wolff auf mittelalterliche Weise, durch Handbeil, auf dem Hof des Altonaer Gerichtsgefängnisses hingerichtet. Zu diesem makabren Akt befahlen die faschistischen Machthaber 75 politische Gefangene als Zuschauer.

Die Herrschenden nahmen blutige Rache an einem Kommunisten und Gewerkschaftsfunktionär, der bereits in der Weimarer Republik verfolgt und eingekerkert worden war, der an der Novemberrevolution teilgenommen, die Interes-

sen der Seeleute ?artikuliert und verteidigt, sich gegen die Exmittierungen von Arbeitslosen eingesetzt und Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre sich mutig dem faschistischen Terror entgegengestellt hatte. All das zog ihm den besonderen Haß der neuen Machthaber zu. So gehörte er zu den ersten Todesopfer der faschistischen Justiz, die zur Abschrekkung potentieller Gegner und zur Stärkung des Regimes vor einer Verurteilung Unschuldiger nicht zurückschreckte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde vor allem durch die akribischen Recherchen des französischen Wissenschaftlers Leon Schirmann der Justizskandal öffentlich. In einer langjährigen Auseinandersetzung mit den Justizbehörden erreichten Hamburger Antifaschisten und Angehörige der Opfer eine Wiederaufnahme des Verfahrens am Hamburger Landgericht und die Rehabilitation der Angeklagten am 17 Juli 1992 durch Freispruch.

1947 wurde die Urne mit seiner Asche nach..Hamburg .überführt und auf, dem Ohlsdorfer Friedhof im Ehrenhain des antifaschistischen Widerstandes beigesetzt. Und ein Park in Hamburg trägt Lütgens Namen. Er findet sich auch auf der Erinnerungstafel in der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde.

In der DDR waren Kollektive, Einrichtungen, Schiffe, die Betriebsberufsschule der Deutschen Seereederei in der Hansestadt Rostock nach August Lütgens benannt. Sie sind mit dem Ende der DDR verschwunden, erfreulicherweise aber nicht die Erinnerung an den Hamburger Widerstandskämpfer. Zuseinem 100. Geburtstag ehrten ihn in Rostock Lehrlinge gemeinsam mit dem Bund der Antifaschisten und der Nichte Lütgens an der ihm gewidmeten - auf hartnäckiges Drängen Rostocker Antifaschisten 1995/96 wieder hergestellten - Gedenkstätte.