Schließlich kann es nicht immer Nonsens sein, auch wenn der ihn berühmt gemacht hat. Mit 60 Jahren darf man vielmehr ein bißchen weise sein, über das Leben, die Liebe und das Altern sinnieren und an den Tod denken: »Ich habe stets von ihm gewußt,/ nun hockt er schwer auf meiner Brust./ Er ist der Strick. Ich bin das Kalb./ Ich bin sein Traum. Er ist der Alp.«
Das Bewußtsein eigener Vergänglichkeit prägt jetzt Robert Gernhardts Lyrik. Doch wenngleich sich der Stil gewandelt hat, Gernhardt ist sich treu geblieben: Der Nonsensdichter findet es zum Lachen, daß es keinen Sinn gibt; dein Sinn-Dichter wird es mulmig. Aber aus den existentiellen Gegensätzen von Leben und Tod, Mensch und Kosmos zieht Gernhardt zugleich tragische und komische Effekte: »Durch einen Fehler im Weltenplan/ lokkerte sich mein Schneidezahn. / Da schoß es mir eiskalt durch den Sinn:/ Wie, wenn ich nicht unsterblich bin?« Eine zweite Traditionslinie vom Nonsenspoeten zum
gereiften Dichter: Gernhardt Lyrik ist nach wie vor sprachgeleitet, das »Erleben« führt übers »Erleiden« zum »Ersterben«. Das Fundament, auf dem Gernhardt aufbaut, ist das Sprachspiel: »Irgendwann, da hat man es:/ Seine Frau und sein Gewicht/ Seinen Wein und sein Gesicht/ Seine Bücher und sein Brot/ Seinen Arzt und seine not-/ gedrungne Einsicht:/ Da hast du es!«
Gernhardt bedichtet die persönlichen Dinge vom Übergewicht bis zum unverhofften Liebesglück und die alltäglichen Sachen vom Möbelhaus bis zum Toilettenpapier; er spricht vom Reisen, von Natur und Kunst. Und vor allem: vom eigenen Herz. In 100 Gedichten schildert Gernhardt die Geschichte seiner Herzerkrankung. Hier verschmelzen objektive Tragik und subjektive Komik zu einem neuen, unkonventionellen Ton, der das
Private und Existentielle vereint. Mit neuer Souveränität meistert der Geist die Hinfälligkeit des Körpers und bannt die Angst. Gleich nach der Bypass-Operation hatte Gernhardt einen Herzstillstand. »Und? Was gesehn?/ Das Licht am Ende/ des Tunnels? Was durchlebt?/ Deine Vita, die vor/ deinem geistigen Auge/ im Zeitraffer - Nichts./ Muß wohl in die falsche Richtung geguckt haben.«
Es gibt in diesem Buch ein Gedicht, das im Grunde Gernhardts Lebensweg in Reime faßt. Im Anfang ist es komisch: »Der Künstler geht auf dünnem Eis./ Erschafft er Kunst? Baut er nur Scheiß?« Am Ende wird es bedeutungsvoll: »Der Künstler fällt in freiem Fall./ Als Stein ins Nichts? Als Stern ins All?«
Was ein Mäuserich im Antiquariat so alles erleben kann: »Die erlesenen Abenteuer der Maus Cervantes« von
Peggy Christian sind geistreich, witzig, spannend und voller Phantasie (Thienemann, 144 S., geb., 19,80 DM).
Reise in die“ Geschichte: »Die Akte Varus« von Hans Dieter Stöver führt in das Jahr 9, als die Schlacht im Teutoburger Wald stattfand (dtv junior, 381 S., brosch., 14,90 DM).
'T'abuthema Inzest. »Der Kuß meiner 1 Schwester« - Jana Frey erzählt einfühlsam von der unmöglichen Liebe, die für einen Jungen dennoch möglich sein kann (Loewe, 191 S., geb., 24,80 DM).
Detailgenau, authentisch und spannend: »Unter der Asche die Glut«,
ein großer Roman für junge Leser von Willi Fährmann über die Zeit nach der Machtergreifung Hitlers, den Mut und die Kraft, Willkür und Terror zu überstehen (Arena, 630 S., geb., 39,80 DM).
Richtig für Diskussionen im Unterricht: Im Band »Du gegen mich« geht es um Gewalt in der Schule. 38 Jugendliche schrieben dazu ihre Ansichten, Erfahrungen und Wünsche auf (hg. v Anne und Abraham Teuter, Alibaba Verlag, 240 S., geb., 24 DM).
Krieg, Leid und das große Geld: »Schrei nach Licht« - Engelbert Gressl erzählt von zwei Jungen, die vom Erblinden bedroht sind. Martin, dessen Vater Waffen verkauft, kann geholfen werden, Mbulu, dem Afrikaner, nicht (Dachs Verlag, 188 S., geb., 27 DM).
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/701565.erleben-ersterben.html