nd-aktuell.de / 12.03.1998 / Politik / Seite 13

Das Mädchen, das nicht Esther heißen durfte

Hans George

Heute ist »Esther-Tag«. Heute feiern die Juden weltweit Purim. Jedes Jahr am 12. März gedenken sie derart der Befreiung vom persischen Joch im 5. Jahrundert v. u. Z. durch Königin Esther und ihren Vater Mordechai.

Nicht so weit zurück liegt eine andere Geschichte, deren Heldin auch Esther heißt.

Am 11. August 1938 wird in Gelsenkirchen dem Ehepaar Luncke eine Tochter geboren. Vier Wochen später, am 11. September, tauft sie ihr Vater, der Pastor Friedrich Luncke, in Wattenscheid auf den Namen Esther. Amtlich allerdings ist das Kind namenlos. Das zuständige Standesamt hat den Namen Esther abgelehnt - weil er nicht deutsch, sondern typisch jüdisch sei. Was als scheinbare Auseinandersetzung zwischen einem Standesbeamten und einem Pfarrer begonnen

hat, offenbart sich bald als eine Staatsaffäre: In drei Instanzen beschäftigt sich die Justiz mit dem Fall. Er wandert von Gelsenkirchen schließlich vor das Berliner Kammergericht, das am 28. Oktober 1938 verkündet: Der Name Esther ist unzulässig. So wird am 3. Dezember das Kind Esther mit dem amtlichen Vornamen Elisabeth in die Akten des Standesamtes eingetragen.

45 Jahre später wird dem Juristen Winfried Seibert eine Tochter geboren. Er läßt sie auf den Namen Esther taufen und hat selbstverständlich keine Schwierigkeiten beim zuständigen Standesamt. 1989 stößt Seibert auf das Urteil des Berliner Kammergerichts von 1938, damit auf den »böswilligen Umgang des Kammergerichts mit diesem Namen und der biblischen Geschichte Esthers«. Hatten doch die Richter neben vielem anderen auch befunden, »... eine solche verbrecherische Dirne jüdischer Rasse kann den deutschen Frauen unserer Zeit nichts be-

deuten«. Seiberts Forschungen enthüllten in der Tat eine »exemplarische Geschichte«. Der Autor dringt ein in das perfide System der planmäßigen Verfolgung der deutschen Juden. Er führt eine Richterschaft vor, deren Urteile und Beschlüsse »Bestandteil des Unrechts« waren, das in der Nachkriegszeit weder moralisch noch personell aufgearbeitet worden ist. Seine Frage, ob die Justiz mit diesen Urteilen und Beschlüssen, »die ohne Zweifel zur Entrechtung der jüdischen Deutschen beitrugen, so den Weg zur >Endlösung< mitbereitet« hat, findet der Leser belegt durch zahllose Beispiele vorauseilenden Gehorsams der willigen juristischen Vollstrecker faschistischen Rassenwahns.

Sicher, »urdeutsche« Beamte waren schon vor 1933 eifrig dabei, Handhabungen für die Ausmerzung jüdischer Vor- und Familiennamen zu schaffen. Da wurde auch schon, wie Seibert darlegt, widerlich-rassistischer Unflat abgeson-

dert. Das alles aber war jedoch noch mehr oder minder-»Theorie«. Da gab es noch keine staatliche Konzeption, darauf gerichtet, mit dem »Ausmerzen«jüdischer Namen auch deren Träger zu beseitigen. Der faschistische Staat hatte dieses Ziel und schuf z. B. mit den Nürnberger Rassengesetzen die Basis für das, was als »Endlösung der Judenfrage« im millionenfachen Mord der Juden Europas endete. Die Nürnberger Gesetze plus dem folgenden Kommentar als Handreichung für die Praxis wurden auch die Basis für »Vorgänge an der Namensfront«, die der Autor ab Mitte 1938 feststellt. Die Veröffentlichung der Liste mit den zugelassenen jüdischen Namen erfolgte am 18. August 1938. »Namensghetto« nennt der Autor diese Liste, die Globkes jahrelanges Wirken auf diesem Gebiet krönte. (Der Name Esther stand übrigens nicht auf der Liste.) Bereits vor 1933 hat Globke, wie detailliert nachgewiesen wird, an der »Namensfront« gekämpft. Da bleibt nichts von der Legende, Globke sei im Amt geblieben, »um Schlimmeres zu verhüten«. Seibert stellt gar fest: »... die antijüdischen Akzente hatten sich verstärkt. Das ging nun eindeutig auf Globke zurück.«