Für deutsche Freier befindet sich jenseits sächsischer Schlagbäume ein Schnäppchenparadies, doch die meist osteuropäischen Prostituierten arbeiten unter unwürdigsten Bedingungen.
Der Straßenstrich beginnt unmittelbar hinter den Grenzübergängen bei Görlitz, Zinnwald oder dem vogtländischen Schönberg. An der E 55, Europas längstem Straßenstrich, offerieren hunderte Prostituierte - neben Tschechinnen und Polinnen auch Roma-Frauen, Russinnen, Bulgarinnen - die schnelle Nummer am Wegesrand. Wenn sich der Schlagbaum hebt, fallen für viele der Freier, deren Autos fast ausnahmslos deutsche Kennzeichen führen, alle Grenzen.
»Höchstpreise werden für schwangere Frauen geboten«, konstatiert eine von Sachsens Sozialminister Hans Geisler (CDU) kürzlich vorgelegte Studie Berliner Sozialforscher. Sie hatten Streetworker-Teams begleitet, die im Rahmen von Aids-Präventionsprojekten Kontakt mit 2500 der häufig wechselnden Prostituierten im Grenzgebiet hatten. Selbst zum »üblichen« Preis von 50 Mark für eine halbe Stunde sexueller Dienstleistungen verlange »ein erschreckend hoher Anteil der Freier« ungeschützten Sex.
Eine Wahl haben die in einem Netz von Abhängigkeiten verstrickten Frauen, die offenbar regelmäßig zwischen verschiedenen Revieren »verschoben« werden, nur selten: Zwischen 50 und 100 Prozent ihrer Tageseinnahmen müssen sie an Zuhälter abführen. Bereits »für ein paar hundert Mark« würden Frauen ohne gültige Aufenthaltserlaubnis gehandelt. Zuhälter würden junge Prostituierte, die manchmal nicht älter als zwölf sind, auch in Kinderheimen »beschaffen«.
Der immer stärker um sich greifende Menschenhandel wird der Studie zufolge von der Polizei meist ebensowenig verfolgt wie die häufigen Gewaltdelikte. Im Gegenteil: Erfahrungen mit gewalttätigen Polizisten mußte einer Umfrage im Raum Cheb zufolge jede fünfte Prostituierte machen. Meist sind jedoch Freier und Zuhälter die Urheber von deutlich sichtbaren blauen Flecken und schlimmeren Verletzungen: Jede zweite Frau mußte erleben, wie Männer nicht vereinbarte sexuelle Wünsche oder den Verzicht aufs Kondom mit Gewalt durchsetzten.
Während HIV-Infektionen in den meisten Gegenden offiziell keine Rolle spielen, ist die Lage in der polnischen Grenzstadt Zgorzelec dramatisch. Dort mischen sich Strich und Drogenszene, die Beschaffungsprostitution nimmt zu. Und obgleich die Häufigkeit von Geschlechtskrankheiten in den sächsischen Grenzkreisen eher unterm Durchschnitt liegt, wird sich die Lage der Prostituierten in absehbarer Zeit kaum ändern: Ursache für den »regen Grenzverkehr«, konstatieren die Forscher, »ist vorrangig ein vorhandenes Wohlstandsgefälle«.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/706059.schmutziger-grenzverkehr.html