nd-aktuell.de / 20.04.2005 / Wirtschaft und Umwelt
1001 Varianten für Hartz IV
Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Umsetzung der Arbeitsmarktreform
Michaela von der Heydt
Unübersichtlich scheinen die Wege, die Kommunen und Städte bei der Umsetzung der Arbeitsmarktreform Hartz IV gehen. Welches Konzept im Kampf gegen Langzeitarbeitslosigkeit die Nase vorne haben wird, ist offen.
Die Arbeitsmarktreform Hartz IV hat begonnen. Doch obwohl der Begriff ein einheitliches Konzept suggeriert, ist die Umsetzung in den Regionen äußert unterschiedlich. Über konkurrierende Modelle und den Stand ihrer Umsetzung diskutierten Städte-Vertreter am Montag auf einer Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin.
Viele Varianten gibt es nicht nur bei der Hartz-IV-Verwaltungsarchitektur, sondern auch beim Zuschnitt der Mitarbeiter-Kompetenzen. Derzeit bestehen 343 Arbeitsgemeinschaften (ARGE) von Kommunen und Arbeitsagenturen mit 1000 neuen Standorten. Hier arbeiten 18 000 Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit und 12 000 aus den Kommunalverwaltungen. Trotzdem fehlt es Personal. Aufgestockt wird indes nicht, machte der Vorstandsvorsitzende der BA, Frank-Jürgen Weise, klar: »Was fehlt, wird eingekauft oder durch Rationalisierung aufgefangen.« 69 Kreise wählten das Optionsmodell, um die Langzeitarbeitslosen in Eigenregie zu betreuen. Außerdem existieren noch 21 getrennte Trägerschaften, wo kommunale Behörden und Arbeitsagenturen ihre Zuständigkeiten behielten.
Auf lokaler Ebene wählten manche ARGE mal den omnipotenten Ansprechpartner, der in allen Bereichen fachlich kundig sein muss, als Königsweg. Andere wiederum setzen auf spezialisierte Fallmanager oder kombinierte Teams. So muss in Stuttgart, eine Stadt mit extrem vielen ungelernten Arbeitern und zehn Prozent Arbeitslosigkeit, ein ARGE-Mitarbeiter neben Verwaltungsvorschriften Fragen aller erdenklichen sozialen Probleme unterschiedlichster Schichten bewältigen können. Und das in mehreren Fremdsprachen. In Stuttgart leben Menschen aus 37 Nationen. Schließlich gilt es zu entscheiden, welche Maßnahme für den Betroffenen passen könnte, und Arbeitsplätze zu akquirieren.
Magdeburg hat zwar im Gegensatz zu ebenfalls präsentierten Städtemodellen aus Mühlheim an der Ruhr oder Nürnberg nicht mit zehn sondern 22 Prozent Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Unabhängig davon aber schneidet die Stadt beim Aufbau der ARGE schlechter ab, die sich offensichtlich reichlich mit sich selbst beschäftigt. Noch sind nicht alle Fallmanager-Stellen besetzt, und die vorhandenen Mitarbeiter knabbern an ihrem Selbstwertgefühl. Denn wer nicht Teamleiter wurde, so Gerd Groenewold von der ARGE, fühlt sich degradiert. Viele seien ungeeignet für die Arbeit. Die Magdeburger ARGE wählte den Weg einer Clearingstelle, »damit wir den Kunden steuern und nicht der Kunde uns«, konstatiert Groenewold weiter. Ein wirtschaftliches Controlling sei erst im Aufbau. Fachliche Begutachtung bleibe auf der Strecke, räumte Groenewold ein. Seiner Überzeugung, dass Eingliederungstitel nicht mehr berechenbar seien, widersprach BA-Chef Weise. Von den insgesamt vom Bund eingeplanten 6,3 Milliarden Euro stünden 4,5 Milliarden sofort bereit. Im Januar und Februar seien bundesweit aber nur zehn Prozent der Gelder abgerufen worden.
BA-Chef Weise hält die Vielfalt bei der Umsetzung von Hartz IV »für schwer administrierbar«. Schließlich ringt er selbst damit in seinem Hause. Erst 75 Prozent der ARGE sind arbeitsfähig, und die Software ist weiter störanfällig. Außerdem sind etliche Fragen ungeklärt - etwa bei der Berufsberatung, bei Reha-Maßnahmen, im Tarifrecht oder der Fachaufsicht über die ARGE. Weise will folglich nur Fakten und Zahlen sehen - über Eingliederungsvereinbarungen, Vermittlungen, Ausgaben, Projekte und Ziele.
Diesen Ansatz kritisieren ARGE-Vertreter. »Was ist Erfolg?«, fragt Marc Hentschke vom diakonischen Beschäftigungsträger Neue Arbeit gGmbH in Stuttgart. Zählten hierzu nicht auch individuelle Entwicklungsschritte? Selbst über das notwendige Maß von Statistik, das Verständnis von Transparenz und die Definition von Erfolgen und Zielen besteht also Uneinigkeit. Bisher ist die Bilanz von Hartz IV nicht überwältigend: Von 680000 arbeitslosen Jugendlichen sind 260000 ALG II-Empfänger. Mit 70000 wurden formal Eingliederungsverträge geschlossen. Allerdings ist ihre Lage oft ähnlich: Zwei Drittel haben keine Ausbildung und ein Drittel keinen Schulabschluss.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/70689.varianten-fuer-hartz-iv.html