nd-aktuell.de / 14.05.2005 / Sport

Erinnern Sie sich noch...?

Vom Turn- und Sportfest in der DDR in Leipzig

Jürgen Holz
»Turner, auf zum Streite! Treten in die Bahn! Kraft und Muth geleite uns zum Sieg hian!« Dieses über 150 Jahre alte Turnerlied war die Erkennungsmelodie aller Turn- und Sportfeste, die der Deutsche Turn- und Sportbund der DDR seit 1954 stets in Leipzig veranstaltete. Die Premiere im Juli 1954 war kurzfristig beschlossen worden, das Geld war knapp. Und so führte man - wer erinnert sich nicht noch - den »Sportgroschen« ein. Vom 1. Juli 1954 an war der Sportgroschen auf jede Eintrittskarte einer Sportveranstaltung erhoben worden. Einer der Höhepunkte in Leipzig war die Massen- und Freiübung von 35000 Sportlerinnen und Sportler auf der Festwiese. Die sah man fortan bei allen Turn- und Sportfesten des DDR-Sports. Das II. Turn- und Sportfest 1956 vereinte 100000 Teilnehmer, darunter auch 32000 aus der Bundesrepublik. Es war verknüpft mit der Einweihung des »Stadions der Hunderttausend«, das in nur 15monatiger Bauzeit entstanden war. Erinnern Sie sich noch an das Tor, das Willy Tröger erzielte? Im Freundschaftsspiel im Rahmen des Turnfestes schoss Tröger beim 1:3 von Wismut Karl-Marx-Stadt gegen Honved Budapest (mit Puskas und Czibor) das erste Tor - unter Flutlicht. In der Halbzeitpause lief eine DDR-Frauenstaffel über 4 x 100 m mit 45,6 s Weltrekord! Drei Jahre später stand das III. Turn- und Sportfest 1959 unter dem Slogan »Jedermann an jedem Ort - einmal in der Woche Sport«. Rund 150000 Volkssportwimpel warteten landauf, landab auf ihre Besitzer. Mit 117000 Turnfest-Aktiven registrierte man eine nie wieder erreichte Teilnehmerzahl. Zur gleichen Zeit wurden DDR-Meisterschaften in Leichtathletik, Schwimmen, Boxen und Turnen ausgetragen. Die Gäste kamen aus 43 Ländern. Fortan gehörte es auch jenseits der DDR-Grenzen zum guten Ton, zum Turn- und Sportfest nach Leipzig zu kommen. Das IV. Turn- und Sportfest 1963 mit 80000 Teilnehmern war verbunden mit der V. Spartakiade, für die sich die besten 5000 Kinder in 35 Sportarten qualifizierten. Es war die Zeit nach dem Mauerbau 1961, als die BDR einseitig die Sportbeziehungen zur DDR abbrach. Dennoch kamen 5000 aus dem Westen nach Leipzig. Der Turnfest-Sonntag war - wer erinnert sich nicht noch? - republikweit zum »Volkssporttag« aufgerufen worden. Zum V. Turn- und Sportfest Ende Juli 1969 konnte kein Geringerer als der damalige IOC-Präsident Avery Brundage und an seiner Seite 15 weitere IOC-Mitglieder begrüßt werden. Der Amerikaner war sichtlich beeindruckt und bezeichnete die Förderung des Sports durch die DDR-Regierung als »beispielgebend für viele andere Länder«. Erst acht Jahre danach gab es 1977 das VI. Turn- und Sportfest zusammen mit der VI. Kinder- und Jugendspartakiade. Unter den Gästen erstmals auch ein Präsident des Deutschen Sportbundes der BRD: Willy Weiher. Erstmals wurde auch die Turnfestmeile gelaufen, die dem Jahr entsprechend 1977 Meter lang war. Ein Kuriosum, an das sich nur noch wenige erinnern werden: Nach dem Fußball-Länderspiel, das die DDR-Auswahl mit 2:1 gegen die UdSSR gewann, wurde der Fußball gestohlen. Der Direktor des Sportmuseum hatte den Ball für die nächste Ausstellung mitgenommen. Das VII. Turn- und Sportfest im Juli 1983 war erneut verbunden mit einer Kinder- und Jugendspartakiade, bei der 10000 Mädchen und Jungen in 18 Sportarten ihre Spartakiadesieger ermittelten. Zu den Stars des Festes gehörte eine 18-Jährige, die sich im Weitsprung einem letzten Test vor den ersten Leichtathletik-WM in Helsinki unterzog. Sie sprang 7,08 m weit. Zwei Wochen später wurde sie Weltmeisterin: Heike Daute vom SC Motor Jena, später als Heike Drechsler und zweifache Olympiasiegerin noch berühmter geworden. Das VIII. und letzte Turn- und Sportfest gab es 1987 mit 72000 Teilnehmern, darunter 10000 Startern bei der XI. Kinder- und Jugendspartakiade. Zum vierten Male gab es auch die berühmte »Sportschau« mit 35000 Aktiven in 14 Übungsverbänden. Zur Attraktion gehörte erneut die lebende Bilderwand mit dem programmatischen Namen »Osttribüne«, wo 12000 Losungen und Symbole zeigten. 50000 beteiligten sich am Friedenslauf über 2,5 km. Und mancher erinnert sich noch, dass die Jenaer Speerwerferin Petra Felke mit 78,90 m für einen neuen Weltrekord sorgte. Die Turn- und Sportfeste der DDR sind inzwischen ein wenig in Vergessenheit geraten. Sie waren unbestritten eine überragende Leistungsschau des Freizeit- und Breitensport, des Nachwuchs- und Spitzensports der DDR. Woran man in diesen Tagen durchaus mal wieder erinnern sollte