nd-aktuell.de / 01.08.1998 / Politik / Seite 13

lustig machen aufs Leben

Lß enno Besson, lieben Sie das Leben?

Ich freue mich noch immer an dem Wunder, als Mensch auf die Welt gekommen zu sein, als diese spezielle Zusammensetzung von Materie. Das isi Grund für ein lebenslanges Staunen.

? Der Ruckblick auj das Jahrhundert animiert nicht gerade zu Freudentänzen über den Menschen.

Leider kann ich nicht mit der beliebten Gefälligkeit dienen, vom Menschen enttäuscht zu sein. Wer hat übrigens das Recht, sich selber auf eine richtende Position zu stellen? Als mich Brecht 1947 für seine Arbeit in Berlin engagierte, malte er mir den Osten - es war an einer Bushaltestelle vorm Züricher Schauspielhaus - mit schlimmsten Bildern aus. Es würde an allem fehlen, warnte er mich, und wir würden auf viele Kleingeister treffen. Ich war dennoch bereit mitzugehen. Mich interessiert die Spannung zwischen Plan und Realität. Sie macht Leben

aus

Benno Besson, 1922 in der Schweiz geboren, ist einer der wichtigsten europäischen Theaterregisseure. 1947 ging er mit Brecht in den Osten Deutschlands, arbeitete am Berliner Ensemble, am Deutschen Theater, leitete die Volksbühne. Er inszenierte Brecht, auf neuartige Weise auch Moliere, die Antike, brachte den verbotenen Heiner Müller in die Spielpläne, schuf (mit Karge/Langhoff) die »Spektakel« der Volksbühne, hatte mit Ursula Karusseit und Katharina Thalbach wichtige Protagonistinnen. Noch immer Legende ist sein »Drache« (mit Eberhard Esche und Rolf Ludwig), sein »Frieden« und »Ödipus« (mit Fred Düren) sowie seine »Schöne Helena« (mit Elsa Grube-Deister) am DT 1978 verließ er die DDR, war in den 80er Jahren Chef der Comedie de Geneve. Heute lebt Besson in Paris.

Das Fernsehen erreicht große Massen, aber Film und Fernsehen sind für mich Ausdrucksmittel, die die Menschen in ihrer Isolierung bestätigen und zwar so, daß man das nicht merkt. Es wird doch heute individualisiert und individualisiert - bis lauter Atome herumlaufen. Das ist eine Freiheit, die einen hohen Preis hat: Man kommt nicht mehr hinein in eine Gemeinschaft, es sei denn, man empfindet es nicht mehr als Verlust, in der Masse unterzugehen. Ganz praktisch: Einen Film kann man allein im Kino genießen. Ein Theaterabend, bei dem nur zwei Leute drinsitzen - das geht nicht.

? Menschen im Theater erleben einen gesellschaftlichen Vorgang?

Theater ist Wirklichkeit und zugleich ein Ins-Spiel-setzen von Wirklichkeit. Das hilft bei der Lebenskunst. Theater, wie ich es mag, soll die Leute lustig machen aufs Leben und auf den Frieden miteinander

? Was ist das für Sie - Lebenskunst?

Mit der Welt zu spielen, um wirklich

in ihr leben zu können. Schauen Sie Kindern zu: Die haben Bedürfnisse und nehmen die Wirklichkeit als Grundlage, mit diesen Bedürfnissen zu spielen. Sie sind unbefangen für das, was auf sie zukommt. Wenn Erwachsene dann sagen: »Unsere Kinder machen Fortschritte«, so meinen sie damit: Die Unbefangenheit nimmt ab. Diesen Verlust feiern wir Erwachsene leiderals pädagogischen Erfolg.

? Das Theater ist nun allerdings ein sehr teures Spielzeug geworden.

Aber der hohe Preis bringt hohen Gewinn, freilich jenseits des Profits: Leben lernt man im Theater besser als vorm Bildschirm. Die Bühne, das ist die Realität einer Illusion. Film und Fernsehen aber lügen Realität herbei.

? Also halten Sie auch nichts von dem Satz: Laß deine Illusionen!

Ich finde, das Spiel mit der Illusion muß gepflegt und gefördert werden. Au-ßerdem ist unser Unterbewußtsein stärker als die Vernunft. Illusionen schleichen

sich immer wieder ein in uns. Man ist dort, wo man ist - und zugleich immer woanders, die Gedanken gehen fortwährend auf Reisen, man ist an vielen Orten gleichzeitig, wir spielen doch mit der Welt, mit den Zeiten, mit den Realitäten, in unserem Kopf läuft ständig ein anderes Stück mit, es geschieht neben unseren sichtbaren Tätigkeiten. Wichtig ist, bewußt mit diesen Illusionen, mit diesen immateriellen Welt umgehen zu können, sich wirklich davor zu hüten, das abgeklärte Erwachsensein und den Rationalismus als die Krone der Entwicklung zu betrachten.

? Vergänglichkeit und Vergeßlichkeit das macht die Tragik des Lebens aus. Theater steht unter demselben Gesetz.

Man ist glücklich am Abend einer Vorstellung oder unglücklich. Der nächste Abend wird ein anderer sein. Auf der Bühne, im Publikum. Es hängt von einem selber ab, ob ein Abend glücklich wird. Es hängt zwar nicht allein von einem ab, wie die Bedingungen des Abends sind aber es hängt von einem selbst ab, wie

man sie lebt. Und so ist es auch im Alltag: Man kann ihn mit dem eigenen Willen ziemlich beeinflussen. Entweder man gibt sich Mühe, daß ein Tag nicht unglücklich vergeht oder man gibt sich keine Mühe, läßt sich überwältigen von den Störfaktoren. Ich glaube fest daran, daß Glück oder Unglück eines einzelnen Tages viel von der inneren Einstellung abhängen, mit der wir morgens in die Welt hinausgehen.

? Noch einmal zu Brecht. Wenn man Inszenierungen von Ihnen sieht, hat man nie das Gefühl von Didaktik oder betont klassenkämpferischer Zurichtung.

Brecht schuf enorme Frauenfiguren, aber außer Grusche im »Kreidekreis« sind sie immer Dienstmägde einer großen männlichen Sache. Auch Arbeiterklasse ist ja männlich. Diese Fixierung mochte ich nicht so bei Brecht, denn es gibt nicht nur Klassen-, sondern auch Geschlechterkampf. Davon sah Brecht ab, leider Im Geschlechterkampf sehe ich aber eine Hauptfrage unserer Zeit. Die patriarchalische Welt, wir sprachen davon, stirbt. Die Idee vom Individuum wurde bis zur Hypertrophie getrieben - das ist eine männliche Entwicklung. Beherrschung und Ausbeutung der Natur - absolut männlich.

? Auch alle Ideologie ist männlich?

Männern gelingt es leicht, sich vom Leben zu entfernen, insofern ist Ideologie sogar sehr männlich: Sie ist die weitestmögliche, aller Naivität beraubte Entfernung von der Realität. Die Frau kann sich nicht so leicht von der Natur, vom Leben entfernen: Sie ist, allein schon als Mutter, eine Schöpferin. Durch Geburt ist sie dem Leben am nächsten. Und zugleich dem Tod. Als einem Zustand, der vor dem Leben liegt, nicht hinter ihm.

? Benno Besson, welches Verhältnis haben Sie zur Macht?

Merkwürdigerweise haben in der DDR immer alle gedacht, ich wolle die Macht übernehmen - am Berliner Ensemble, am Deutschen Theater. Aber mit Macht hatte ich nie etwas im Sinn. Ich bin nicht aus gekränkten Machtgefühlen weggegangen, sondern deshalb, weil Eitelkeit und Mißtrauen der Parteileute und damit der kulturelle Schaden für mich eines Tages zu groß wurden.

? Sie haben immer wieder regelmäßig mit Arbeitern, Gewerkschaftern Theater gemacht. Daß daraus nie große Pressetermine wurden, zeigt das wirkliche, ungeheuchelte Interesse an solcher Arbeit.

Auch jedes Amateurtheater ist ein Argument gegen die Vereinsamung in der Welt, und es gibt sehr viele dieser Theater Sie spielen keine Rolle in den Feuilletons, na und? Die Hoffnungen der Welt finden sich nicht im Zirkus der Medien. Man muß es nur sehen wollen: Es gibt Menschen, denen eine sinnvolle, lustvolle Lebenskunst wichtiger ist als Marktfähigkeit.

? Sie haben gern in der DDB gelebt?

Sehen Sie, ich hatte in der Volksbühne in Berlin aus ethischen Gründen die Pflicht und den Willen, einer Putzfrau zu begegnen - und zwar anders als in einem bürgerlichen Theater Die Autorität der Werktätigen war eine große gesellschafliche Qualität. Sie hatte mit der Freiheit zu tun, sich nicht zu beugen. Was zerstörend wirkte, war die Arroganz der Parteileute, ihr verdorbener Hang zur Hierarchie.

? Was verbindet Sie heute noch mit Deutschland?

Brecht ist sozusagen »schuld«, daß ich nach Deutschland ging. Da leben meine Kinder Das habe ich mit Deutschland zu tun.

? Was denken Sie über den Tod?

Keiner ist unersetzlich. Aber vorläufig lebe ich noch. Wenn man älter wird, wird es leerer um einen herum. Wichtig ist, daß man noch immer heimkommen kann, und einer ist da, der fragt. Na, wie war's?

Interview Hans-Dieter Schutt