Von Waldtraut Lewin
Als elfter Band der DDR-Bibliothek ist im Verlag Faber & Faber nun Hanns Eislers Opernlibretto »Johann Faustus« von 1952 erschienen, eine Publikation, die ihre Berechtigung weit stärker als aus den (zweifellos auch vorhandenen) poetischen Qualitäten des Textes aus dem hernimmt, was im folgenden Jahr mit diesem Text geschah: Es ereignete sich ein Musterbeispiel repressiv-gängelnder Kulturpolitik, bei dem einem die Haare zu Berge stehen können. Jürgen Schebera bringt das in seiner gerade mal 20 Seiten umfassenden, klaren und präzisen Nachbemerkung auf den Punkt. Heute liest es sich wie eine schlechte Posse. Aber Geschichte ist ja einer schlechten Posse oft viel ähnlicher als der großen Tragödie - falls sie nicht gar zur blutrünstigen Farce ä la Grand Guignol verkommt.
Nun, zumindest rollen hier keine Köpfe (wie es in den großen politischen Prozessen dieser Jahre in Ungarn, in Prag und der Sowjetunion geschah), es ging ja »nur« um Kultur, und die Beistände des Angeklagten waren, genau wie er selbst, von so hochkarätiger Singularität, daß sie es wohl wagen konnten, eine Lippe zu riskieren. Ein Brecht, ein Arnold Zweig, ein Walter Felsenstein - internationale Größen von Rang, die zu Ruhm und Ehre der DDR als Kulturlandschaft beitrugen. Sie konnten und durften.
Andre wagten es nicht. Stellten ihre Qualitäten als Literaturkritiker, als Künstler und Wissenschaftler der Parteilinie zur Verfügung, schleppten ihre Hölzchen zum Scheiterhaufen herbei, kurz, folgten dem Satz: »Es ist besser, sich mit der Partei zu irren, als außerhalb von ihr recht zu haben.«
Nach der Veröffentlichung des Textes folgt zunächst ein überschwenglicher Essay des österreichischen Philosophen Ernst'Fischer in der Zeitschrift »Sinn und Form«. Er prophezeit Eislers Faustus zur
potentiellen deutschen Nationaloper hoch, spricht freilich auch das Thema »Der Humanist als Renegat« an. Sehr zum Schaden Eislers. Man wurde hellhörig.
In drei großen Akademie-Sitzungen findet der ideologische Feldzug gegen Eislers Libretto statt, flankiert von ND-Artikeln von Girnus und Johanna Rudolph (die gleich noch Egon Monks »Urfaust«-Inszenierung im BE niedermachte) und den üblichen bestellten Leserbriefen von empörten »Werktätigen«. Er kulminierte in Selbstbezichtigungen (Max Schroeder vom Aufbau-Verlag nannte die Drucklegung einen »schweren Fehler«) und Haßtiraden (Besenbruch: »Genuß am Wühlen in Dreck«) und fand seinen Abschluß in einem Verdikt Walter Ulbrichts höchstselbst bei einer Ansprache an »Kulturschaffende«.
Damit war die »Deutsche Nationaloper« vom.Tisch.
Vierzehn Tage später, am 17 Juni, hatte man andere Sorgen als ein Opernlibretto.
Was in aller Welt war denn nun das Verwerfliche an diesem Text, der Staatsmänner auf den Plan rief und ihren Handlangern den Schaum vors Maul trieb? Ulbricht selbst formulierte es am rohesten, nacktesten, unverblümtesten. Er redete davon, daß eines »der bedeutendsten Werke unseres großen deutschen Dichters Goethe formalistisch verunstaltet wird, daß man die großen Ideen in Goethes Faust zu einer Karikatur macht«. Da war zum einen der Formalismus, eines der schwammigsten Kriterien der sozialistischen Kulturpolitik überhaupt. Shdanow hat die Kampagne gegen denselben, das heißt für »optimistische Kunstwerke des sozialistischen Realismus« gestartet. Das neue Dogma war beliebig handhabbar Seine Anwendung auf ein Kunstwerk war ein Todesurteil. Eisler selbst hatte keine Chance, an eine Ailf-^:* führung seiner atonalen oder zwölftönigen Kompositionen zu denken. Aber auch die Verwendung von Jazz-Elementen in
einigen seiner Songs galt als »formalistisch«. Man hatte ein Auge auf ihn. Sah mit Mißtrauen auf den Komponisten der Nationalhymne.
Zum anderen fühlte sich die Führungsriege der alten Kommunisten zutiefst verunsichert durch die negative Wendung der Faust-Figur. Man sah sich als legitime Erben der humanistischen Werte der deutschen Klassik, zog daraus einen großen Teil neuerworbenen Selbstwerts. Und postulierte zumindest in dieser Epoche das Bündnis zwischen Arbeiterklasse und Intellektuellen. Nun, damit freilich diente das Faust-Libretto nicht. Faust war für Eisler der Renegat, der die Sache des Bauernkriegs verraten hat und deshalb zur Hölle fährt.
Daß der (übrigens gar nicht an Goethe, sondern am Volksbuch und am »Puppenspiel vom Dr Fausten« orientierte) Anti-Held dann auch noch nach »Atlanta« fährt, und aus Übersee zurückkommend »die Heimat grau und kalt« findet, schlug dem Faß den Boden aus.
Und nun sitzen wir, 45 Jahre später, vor diesem Text und fragen uns: Was ist geblieben? Kein Theaterstück. Ein Libretto, das allenthalben die Musik fordert, deshalb auch als szenische Aufführung pur genauso scheitern muß, wie Wagners »Ring« nur als Rezitation. Eine kraftvolle, gleichsam holzgeschnitzte Sprache aus dem Geist der Reformation und des Volksbuchs.
Der Bauernkrieg ist verloren. Faust, der Sohn eines Bauern und nun vielgelehrte Mann, ist vor Müntzer zurückgeschreckt und hat nicht mitgemacht. Er überlebt. Darum quält ihn das Gewissen. Darum holt ihn schließlich der Teufel.
Ei, warum denn bloß? Er hat keinen ans Messer geliefert. Er hat sich bloß selbst nicht henken lassen. In seiner Confessio, die übrigens dramaturgisch falsch gesetzt ist - viel zu spät -, erfahren wir etwas über diese seine Motive und können sie nicht verstehen. Zu allzu vielen Dingen hat sich unsere Meinung geändert. Zur Einschätzung von Revolutionen
generell zum Beispiel. Zur Rolle Thomas Müntzers, dieses wirren Schwärmers, der die nahezu unbewaffneten Bauern gegen die von Geschützen starrende Feste Würzburg in den Tod jagte, weil da der Regenbogen war - und schon ganz und gar zum Haupt-Punkt Eislers: dem bohrenden Schuldgefühl des kommunistischen Intellektuellen, der Arbeiterklasse nicht Genüge zu tun; im Kampf gegen Faschismus und Barbarei versagt zu haben. Über das Verhältnis von Macht und Intelligenz sind inzwischen andere, vielschichtigere, luzidere Gedanken geäußert worden - ich denke da zum Beispiel an Jorge Semprun.
Im Erdrutsch der Geschichte, den uns diese Jahre und Jahrzehnte gebracht haben, ist Eislers Thema kein Zentrum mehr Die Prioritäten haben sich verschoben, andere Koordinaten bestimmen das Wertsystem. As Time goes by... Man sieht die ideologischen Schlachtfeste mit Kopfschütteln. Und liest den Text mit tiefer Wehmut.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/728161.johann-faustus-und-der-erdrutsch-der-geschichte.html