nd-aktuell.de / 12.09.1998 / Politik / Seite 24

»Mit verbotenem Gruß!«

Markus Wallenberg

Wer aufmerksam über die Dörfer fährt, wird besonders bei männlichen Jugendlichen optisch eine Monokultur feststellen. Der Rechtsextremismus der späten 90er Jahre zieht vom Land in die Städte. Der Konformitätsdruck in den Gemeinden ist hoch, Ablehnung der rechten Meinungsführerschaft führt unweigerlich zur Ausgrenzung und zum Verlust sozialer Kontakte. Gerade die Angepaßten sind die Gewaltbereitesten, denn sie müssen ihre Dazugehörigkeit zur Clique, Gruppe, Szene immer wieder neu beweisen. Während die in der Hierarchie Höherstehenden oft auf typische Attribute der Szenezugehörigkeit verzichten können, zeigt der durchschnittliche rechtsorientierte/rechtsextreme Jugendliche in der Regel das Vollbild, das sich seit etwa 15 Jahren nur unwesentlich modifiziert hat: Kurzhaarschnitt, Bomberjacke, Springerstiefel, Polohemden und T-Shirts spezieller Sportartikelhersteller (Lonsdale, Fred Perry), mit Symbolen, Parolen, Porträts und Bandnamen bedruckte T-Shirts, wahlweise Domestos-Hosen oder Jeans (derzeit »in«: spezielle Entfärbetechniken), Uniformteile (olivgrün, Herbst-, Wintertarnung) und Accessoires wie Aufnäher, Hosenträger, Basecaps. Kleidung und Teile der Verhaltensmuster sind bewußt größtenteils der Skinheadkultur entnommen, die die überzogene Männlichkeit und die damit verbundenen Rituale paßfähig bedient. Auch wenn es Skinheads mit nichtrechter oder sogenannter »unpolitischer« Grundposition nicht gefällt. Die meisten rechtsorientierten/rechtsextremen Jugendlichen definieren sich als Skinheads und belächeln den legendären »Spirit of '69« nur müde. Und sie sind in der erdrückenden Mehrheit.

Das Einstiegsalter für das entsprechende Outfit liegt inzwischen regional schon bei elf Jahren (!) auf der nach oben offenen Skala. Kleinstes gemeinsames Vielfaches zwischen Schülern mit rechter Orientierung und organisierten Rechtsextremisten ist dabei die offen und offensiv vertretene Ungleichheit von Menschen und Menschengruppen, aus der sich alle Feindgrüppen ableiten lassen (Ausländer, Andersdenkende, Obdachlose, Juden, Moslems, Christen, Behinderte, Schwule, Vertreter anderer Jugendkulturen). Rechtsorientierte Einstellungsmuster, die ein Elfjähriger mitbringt, hat er am Abendbrottisch aufgeschnappt. Völkische Gedanken haben auch in der DDR überwintert; abwertende Begriffe wie »Preßkohle«, »Dachpappe« oder »Ofenrohr« für Farbige sind ebenso Ostschöpfungen wie das Wort »Fidschis«. Diese Bezeichnung für Vietnamesen und alle Asiaten ist bereits in die Umgangssprache eingegangen -Rechtsextremismus kann nicht als Randgruppen- oder Jugendproblem beschrieben werden, obgleich der sichtbare Rechtsextremismus sich durchaus massiv

als Phänomen unter Jugendlichen darstellt.

Der Bekleidungsstil spielt eine Doppelrolle: Einerseits dient er zur Identifikation mit der Gruppe, andererseits zur Festigung des Status innerhalb des Umfeldes. Der übliche Einstieg erfolgt mit der Bomberjacke, meistens ist sie noch grün und wird mit dem Schal des Lieblingsfußballvereins geschmückt. Erst an zweiter Stelle wird der Kurzhaarschnitt gefordert, an dritter stehen dann die Springerstiefel, Marke Doc Märten. Das Outfit ist bewußt militant, soll das Selbstwertgefühl heben, Macht, Autorität und Angriffsbereitschaft suggerieren und einschüchtern. Der Uniformcharakter soll sich im Idealfall mit den Werten und Normen verbinden, die als »national« definiert werden: Ordnung, Sauberkeit, Disziplin, Fleiß, Treue, Ehre, Stolz. Da wird dann großzügig darüber hinweggesehen, wenn in der Öffentlichkeit exzessiv gesoffen, gerülpst und gekotzt wird. Saufen ist Männertugend und zählt somit zum stilisierten Proletkult. Wichtig ist, daß die »eigene« Kleidung als Politikum begriffen wird, als Element einer »systemalternativen Jugendkultur«, sogar äußeres Zeichen »national befreiter Zonen«!

Im Gegensatz zu anderen Jugendkulturen wie Gammler, Punks, Grufties oder Flower-Power-Anhängor stellt der Bekleidungsstil keine Protestform gegen die Erwachsenen dar Der Anteil der Mädchen, die mit rechten Orientierungen umgehen, war bisher immer noch verhältnismäßig gering. Auch hier deuten sich dramatische Veränderungen an. Die Mädchen kommen zwar langsam, aber dafür gewaltig. In der Optik sind sie zurückhaltender, obwohl die Szenefrisur, der »Feathercut«, öfter zu sehen ist. In der Aggressivität stehen sie hinter ihren männlichen Pendants aber kaum zurück.

Zur Kleidung gehören Mythen und Legenden, die von Generation zu Generation weitergetragen werden. Aus der DDR hat sich so ein Relikt erhalten: die T-Shirts der Marke Lonsdale. Wenn man den Reißverschluß der Bomber- bzw Lederjacke nur halb hochzieht, erscheinen im Dreieck die Buchstaben »NSDA« (statt NSDAP). Für Außenstehende nicht erkennbar, aber mit hohem Symbolwert innerhalb der Szene. In Ost und West wird seit mehr als zehn Jahren ein vermeintlicher Zusammenhang zwischen Gesinnung und Schnürsenkelfarbe kolportiert: Weiß tragen die »Nationalisten«, rot angeblich die politischen Gegner, gelb die »Antisemiten« oder »Copkiller«.

Während bei den Einsteigern die Schnürsenkelfarbe noch als geheimes Erkennungszeichen gehandelt wird, spielt sie bei den Älteren keine Rolle mehr.

Die Accessoires haben ebenfalls eine Doppelfunktion: politische Demonstration oder Provokation nach außen, Erkennbarkeit und Verständigung nach innen. Sie bekamen ihre heutige Bedeutung in der Mitte der 80er Jahre, als sich Punks den Skinheads optisch annäherten und sich Gewalttaten oft nur durch das Zeigen bestimmter Zeichen vermeiden ließen. »Nationale Sinneszeichen« bilden teilweise bereits Elemente einer internen Sprache. Sie sind, wie es in einem Beitrag aus der Homepage der rassistischen »Nordischen Zeitung« heißt, nicht bloß Mittel zur Kommunikation - mit Runen und Sinneszeichen werden »Gelöbnisse verbunden und Wünsche manifestiert.

Das bedeutendste Zeichen sind die Reichsfarben: schwarz-weiß-rot. Ob Reichsflagge oder Reichskriegsflagge spielt keine Rolle, sie sind nur verdeckte Zeichen für die Fahne mit dem Hakenkreuz, die Nationalflagge des Dritten Reiches. Niemand, der die Reichsflagge bei Demonstrationen herumschleppt, will schließlich den alten Kaiser Willem wiederhaben! So prangt denn seit der Aufnahme der Reichskriegsflagge in den Kanon der Ordnungswidrigkeiten auf den Ärmeln der schwarz-weiß-rote »Reichs-Aufnäher«.

Zu den Aufnähern gehörten die Gaudreiecke, die bis zum Verbot von Mitgliedern der Wiking-Jugend und der FAP getragen wurden. Eigentlich hätte das Gauzeichen gemäß § 86 des StGB schon seit Bestehen der Bundesrepublik verboten sein müssen, gehörte es doch ebenso

wie die Wolfsangel zur Ausstattung von Deutschem Jungvolk, HJ und BDM. Dies sah ein Gutachter, der im Prozeß gegen zwei junge Rechtsextremisten im März 1997 vor dem Amtsgericht Grimma aussagte, nicht so. Er fand »keine speziellen Bezüge zur nationalsozialistischen Ideologie« - die Angeklagten wurden freigesprochen.

Eine ähnliche Aufweichung eines Verbotes ergibt sich aus einem Urteil des Landgerichts Berlin hinsichtlich des Keltenkreuzes. Aufgenähte Siegrunen (HJ, SS) und Odalrunen (Wiking-Jugend) wagt allerdings niemand mehr offen zu tragen. Großer Beliebtheit erfreut sich statt dessen die aufgenähte oder gestickte »88«, die für »Heil Hitler« (H = achter Buchstabe) steht, bzw. die »14« oder »14/88«. Hinter der »14« verbergen sich die berühmt-berüchtigten »14 Worte«, in holpriges Deutsch übersetzt: »Wir müssen den Fortbestand unserer Rasse bewahren und auch die Zukunft arischer Kinder sicherstellen.« Die »14« steht ebenso wie der Aufnäher »White Power« für blütenreinen Rassismus. Polohemden der Marke Fred Perry werden mit der auf den Kragen gestickten »88« vertrieben. Über das Internet kann man sich bei dem NPD-Vertrieb für 29 Mark Hemden mit der »88« bestellen.

Auf den T-Shirts mit rechtsextremen Symbolen oder Parolen tauchen immer wieder neue Spielarten des Hakenkreuzes auf, die zum Teil sogar keltischen Ursprungs sind. Es gibt bis heute keine auch nur annähernd vollständige Übersicht über die Symbolik, die Polizei der Länder stoppeln sich grobe Listen zusammen. Verbote werden geschickt umgangen. Da die Grußformel »Mit deutschem Gruß« strafbar ist, schreibt oder spricht man eben »Mit verbotenem Gruß«. Sprachliche Eigentümlichkeiten als Kampfform gegen die »Überfremdung« schleichen sich ein. Da trägt man plötzlich »T-Hemden«, schickt statt des Faxes eine »Fernkopie« und besucht statt der Homepage die »Heimatseite« der Jungen Nationaldemokraten im Internet.

Die religiöse Komponente wird aus einem Konglomerat aus Germanenpantheon, keltischer Naturreligion und Wikingermythen gebildet. Elite- und Sendungsbewußtsein, Opferbereitschaft und Heilserwartung werden daraus gespeist. Das Neoheidentum, die »arteigene Religion«, die im Gegensatz zum Christentum nicht vom Gleichheitsgedanken ausgeht, wird auch offen gezeigt. Entweder durch den Thorshammer, der an der Kette um den Hals getragen wird, durch entsprechende T-Shirts (»Odin statt Jesus«), Nachbildungen germanischer und keltischer Schmuckstücke, die alle Szeneverbände im Angebot haben. Bei den Runengraffiti gibt es Darstellungen, die nur für Insider verständlich und ideologisch angereichert sind. Die Bauge Ü wird immer für ein Omega gehalten, es handelt sich aber dabei um die Rune, die die Hoffnung auf baldige Wiederkehr ausdrückt - hier steht sie für die Hoffnung auf baldige Wiederkehr des Reiches.