nd-aktuell.de / 22.10.1998 / Politik / Seite 13

»Guten Morgen!«

Hans-Dieter Schutt

Peymann (rechts) und seine »Zentralsonne«

Foto: dpa

Hans-Peter Minetti, der Sohn des Schauspielers, setzt sich zuletzt. Dann geht das Licht aus.

Bernhard Minetti auf der Leinwand: Da ist es wieder - das Kauen, sanft mechanisch. Noch die kurzen Szenen offenbaren: Minetti trat nicht auf, er spielte nur immer weiter Und jeder Auftritt war wie ein endgültiger und der Auftrittsort jenes Schlachtfeld, auf dem sich Provinz und Vollendung streiten. Provinz ist das Verkorkste, Verbohrte, Deformierte, Verknarzte in uns. Und immer siegte Minetti, indem er all das, was andere nur für verkorkst, verbohrt, deformiert, verknarzt halten, als Philosophie gestaltete. Nein, nicht gestaltete - verarztete.

Mein Gott, sagte die Welt immer wieder, was für ein Schauspieler ist das! Und die Welt wußte, daß ihn nur einer wegkriegt von da ganz oben: Gott.

Trauerfeier im Berliner Ensemble, Minettis letzter künstlerischer Heimat. Im Zuschauerraum Bühnengrößen: die Winkler und die Lampe und die Keller, der Dorn, der Rehberg, der Beil, der Schmidinger. Und, und, und. Und, wie immer bei solchen Trauerfeiern: Wenn die Kunst wieder ein Stück stirbt, erwacht auch die Politik, fürs Theater haben plötzlich Parteigrößen Zeit, von links nach rechts, die man sonst selten als Publikum sieht. Was der Politik garantiert Schaden zufügt - man kann es jeden Tag hören und lesen.

Große Berliner Ausnahme, schon als er noch Bundespräsident war (und nicht

nur bei Premieren): Richard von Weizsäcker Er ist an diesem Vormittag der Nach-Rufe die Stimme des »leidenschaftlichen Zuschauers«. Minetti habe gelehrt, daß menschliche Würde nicht ende, wo Fehler und Schwächen ihren Platz behaupteten. Der Schauspieler sei ein »Sprachdenker« gewesen, im »Schaffensklang« seiner Stimme sei das Wort und er zitiert Karl Kraus - von einer »dreisten Dirne zur Jungfrau« geworden. Sprache: ein Tasten. Also wie Liebe.

Eberhard Diepgen geht ans Pult. Aus einer Theater-Welt wird nun Stadt-Theater- Minetti habe für Berlin gewirkt. Für Berlin, für Berlin, für Berlin. Und was tat Berlin für Minetti? Wie hatte BE-Vertreter Stephan Suschke zu Beginn der Feier für diesen »Schauspieler aus einer anderen Zeit« gesagt? Politisch Verantwortliche hätten Minetti aus dem Schiller-Theater vertrieben. Claus Peymann wird

es Minuten später ebenso benennen: Einen wie Minetti zum »Flüchtling mit dem Thespiskarren« gemacht zu haben, sei die blamable Ultima ratio des Berliner Senats gewesen. Und Martin Wuttke trägt zu diesem Thema einen Text Einar Schleefs vor, »14 Vorhänge für Bernhard Minetti« - ein innig-zorniges, hartes wie elegisches, panzerloses wie nervenblankes Gedicht: der Vorfall Schiller-Theater als Bruchstelle; die schöne Kunstfalle plötzlich als böse Lebensfalle. Wuttke übrigens ist wie das Gedicht: innig-zornig, hart und elegisch, panzerlos und nervenblank.

Also zunächst Diepgen. Er weicht nicht aus, spricht von der »zerrissenen Familie Minetti«, ja, und vom Schiller-Theater spricht er, davon, daß die Versöhnung lange Zeit brauchte. Ein Nachgeschmack bleibt. Dieser Darsteller, so Günter Rühle, Kriti-

ker und Herausgeber von Minettis »Erinnerungen«, liebte das Wetterleuchten, er war (man sah's dem Gesicht an) ein »gebirglicher Mensch«. Rühle zitiert Lessings junge Lieder Den Todesrüf: »Von dannen!« In einem Punkt kam der Lebensstückschluß selbst für den 93jährigen zu früh: Gern hätte er den Tod auf der Bühne erlebt. Das wär's doch gewesen: das Absolutum des Lebens - vor sämtliche Vorhänge geholt just in der schönen Welt des Scheins! Und da ist auch sie wieder- die schöne, schaurige, hochfahrende, anmaßende, maßlose, niedrige, erschütternd heitere Eitelkeit des Schauspielers, des Zwitters, der nie bloß er selbst sein will und doch auch nie ganz selbst-los sein darf. Kein Tod auf der Bühne - man kann halt nicht alle großen Rollen spielen.

Marianne Hoppe liest Goethe (»Stirb und werde«), Traugott Buhre zitiert Thomas Bernhard: »Ich schreibe nur für Schauspieler, nicht fürs Publikum, denn ich schreibe nicht für den Schwachsinn.« Der glitzerndböse Österreicher, dessen Stücke zuvörderst Minetti-Stücke wurden: Claus Peymann spricht über jene vier Thomas-Bernhard-Minetti-Inszenierungen, die ihm zu »Zentralsonnen« sei-

nes bisherigen Theaterlebens gerieten. Er imitiert lustvoll diese an den deutschen Bühnen meistparodierte Schauspieler-Stimme, erinnert sich an jene Stunde, da er sich als künftiger BE-Intendant dem Ensemble vorstellte und Minetti krähte: »Endlich bist du mein Chef!« Viel hat Peymann erreicht, Minetti-Direktor wird er nicht.

Der Regisseur zitiert einen Proben-Satz des Darstellers, der ihn nicht loslasse: »Ich bin nur ein Schauspieler « Das habe ihn befähigt, alles zu spielen, König zu sein durch Dienerschaft. »Minettis Eros« - das sei Arbeit gewesen zwischen Vernichtungswahn und überschwenglichem Versöhnungsglück. »Für schlechtes Theater schämte er sich. Wer tut das noch?« Ein «Huuch« geht durch den Saal.

Einmal sei es zum, Krach gekommen, Peymann schickte dem Erbosten ein Telegramm mit einem schlichten »Guten Morgen!« Die Arbeit ging daraufhin weiter Seither wurde für Peymann dieser Gruß zum «Prinzip Minetti«, Theaterweltformel und Welttheaterformel. Also ruft er dem Freund nun »Guten Morgen!« ins nur vermeintlich Dunkle nach.

Diese Theatertodstunde hat drei irrwitzige, irrwahre Momente. Einmal, als Peymann zum letzten Beifall für den Schauspieler bittet. Applaus, Applaus in einem vollen Theater, das plötzlich aber sehr leer ist, weil der Schauspieler fehlt. Jetzt erst fällt es auf: Er fehlt wirklich, er ist wahrscheinlich wirklich tot. Fehlt nur, daß einer völlig unpassend »Bravo!« ruft. Da ruft einer aus dem Rang »Bravo!« Und es^paßt genau und wunderbar. Minetti, das Foto da vorn, lacht.

Der zweite Moment: Minetti-Töne aus Robert Wilsons »Ozeanflug«. Es wabert atemberaubend. Was man hört, könnte (könnte!) eine menschliche Stimme sein. Aber nein. Es ist Minetti, der sich vorstellt: »Ich bin der Nebel.«

Der dritte Moment. Im Foyer steht ein Kranz vom Deutschen Fußballbund. Spiel ist Spiel.