Edda Schwarzkopf und Klaus Schleift in Jürgen Harts «Unernster Geschichte Sachsens«
Foto: Dieter Wuschanski
Die Geschichte der Sachsen sei eine Folge mehr oder weniger gutartiger Katastrophen gewesen, schreibt Jürgen Hart, der Leipziger Kabarettist, der diese Volksgruppe mit seinem »Sing, mei Sachse, sing« weltfähig gemacht hatte. Aber, so meint er weiter, sie hätten mit den Scherben aus diversen Katastrophen noch immer etwas anzufangen gewußt. Das ist treffend bemerkt und in seinem Buch »Die unernste Geschichte Sachsens« nachzulesen (WeymannBauer Verlag 1995), eine köstliche Lektüre, von der nun eine Bühnenfassung am Chemnitzer Schauspiel uraufgeführt wurde: »Augen zu und durch«. Der Autor spielte selbst mit, ein anderer Sachse, Christoph Brück, führte Regie.
Wer freilich eine spannende Story oder eine Perlenschnur sächselnder Kalauer erwartet hatte, kommt nicht ganz auf seine Kosten. Denn 900 Jahre Geschichte der Sachsen - das will erstmal gestemmt sein, das braucht eine zündende Idee, die dramaturgisch gerafft und aufgedröselt werden muß. Das hat Hart, dieser satirische Leichtfuß mit Tiefgang, der immer noch die intelligentesten Texte im
sächsischen Sprachraum schreibt, nicht gewollt oder es hat ihn überfordert.
So wird der Abend mehr eine Revue aufgereihter, für Sachsens Geschichte signifikanter Ereignisse, beleuchtet von gutherziger Ironie, sarkastisch kommentiert »von unten«, vom Volksmaul Rudi Bäzold, dem kleinen Mann. Den spielt Jürgen Hart, der über »die da ohm« bestens Bescheid weiß und sie - wenn nötig - durch den Kakao zieht. Dabei mixt er den Kartoffelsalat zur 900-Jahrfeier, den grün-weiß-sächsischen, der sich »Sallad« ausspricht. Das Publikum darf artig die Zwiebeln dazu schneiden und erlebt das »Würrwoarr« von Politik, Herrscherhäusern und ihren Potentaten. Friedrich der Streitbare (1381-1428) mokiert sich über König Friedrich August III. (1904-1918), diese Pflaume, weil der 1918 friedfertig die Macht an die »Roten« und dazu die bedeutungsschwangeren Worte der Geschichte übergab: »Ach, macht doch euern Dreck alleene«.
Eine ganze Ahnengalerie der Wettiner spielt auf, auch jener Kurfürst Johann Georg (1611-1656), auf den der Aufschwung Ost zurückgeht: Bibbernd vorm kalten Ofen beschließt er, aus Trümmersachsen nach dem 30jährigen Krieg ein Kultursachsen zu machen, was ja anfangs mit J. S. Bach und einem neuen
Opernbau leidlich geglückt ist. Napoleon mokiert sich über die Kampfunlust sächsischer Truppen, bevor er in der Völkerschlacht bei Leipzig selbst den Löffel abgibt. Auch Walter Ulbricht hatte wohl den heiteren Gleichmut der Sachsen unterschätzt: Sein Plan im Moskauer Exil, die Sachsen zu Sozialisten zu machen, scheiterte bekanntlich. Später, im richtigen Sozialismus, gab es die Sachsen gar nicht mehr; sie wurden bezirksgedrittelt und bevölkerten die Hauptstadt zum Zwecke, Gegenstand guter, böser Witze zu werden.
Hier stehen knackige, pointierte Szenen neben Bebilderungen und einem Kostümfest, in dem sich die Schauspieler nicht wohl zu fühlen schienen und mehr wörtelten als spielten. Die Regie Christoph Brücks vermochte dem Text auch keine Wendung zu größerer szenischer Souveränität zu geben, er inszenierte teils ganz vorzüglich - die Szenen, aber nicht den Abend.
Ich vermißte das »geistig Band«, den heiteren Umgang mit Geschichte, ihre Kommentierung, den witzigen Vergleich und absurden Analogieschluß. Was für eine Textilindustrie hatten die ameisenfleißigen, erfindungsreichen Sachsen! schwärmt es in einer herrlich parodisti-
sehen Autoszene um 1900, die Szenenbeifall erhielt. Was heute daraus geworden ist, wird nicht gefragt. So bringt die szenische Befolgung historischer Abläufe Witz, Vergnügen und phantasievolles Theater im einzelnen, es steht aber vieles »für sich« und schöpft das Amüsement nicht aus, dem »Würrwoarr« der Ge-
schichte eine gedankliche, dramaturgische Struktur zu entlocken.
Die Premierenzuschauer spendeten viel Beifall, man hörte Glucksen und Kichern, auch beschauliches Gucken - doch ich denke, der erwartete große Schmunzel- und Lachabend über Sachsens Schick und Mißgeschicke war es nicht.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/739503.sachsens-schick-und-missgeschick.html