Nach »Underground« (1995) wollte Emir Kusturica nie wieder einen Film machen. Zu sehr ärgerte ihn der Vorwurf, er habe Titos Jugoslawien verherrlicht. Er, der sich selbst mit einem »Zauberer im Zirkus« vergleicht. Kind, das mit Bildern spielt. Ein seltenes Genie der Unmittelbarkeit. Natürlich ließ er sich dann doch überreden. Ein ganz kleiner Film sollte es werden. Eine Dokumenta-
tion über die Zigeunermusiker in »Underground«. Wieder wurde es ein Balkanepos. Eine Orgie von Einfällen. Pausenlos fluten Bilder heran und tanzen wie betrunken um die Kamera. Doch mit höchster Präzision.
Wie bereits in »Zeit der Zigeuner« (1989) verläßt sich Kusturica ganz auf diese Logik der Bilder Um solch einmalige Gesichter zu finden, begab er sich in die Romasiedlung bei Skopje. 50 000 Zigeunerleben dort. Geschichte, das ist hier ein sich unendlich fortwebendes Netz aus lauter alten und neuen Geschichten. Man
ist stolz und schamlos, treu und gewissenlos zugleich. Wie überall, nur sehr viel schriller Kusturica kann sich da einfühlen, er ist im europäischen Film selbst ein zumeist unverstandener Außenseiter Die Handlung? Der Alltag der Lebenskünstler, die sich mit Phantasie und Schwarzhandel dem Leben wieder in Erinnerung bringen wollen. Isaak Babels Welt der sympathischen Kriminellen. Natürlich gibt es auch hier Gewinner und Verlierer, Moralisten und Schöngeister, Neureiche und Aristokraten. Matko gehört zu den ewigen Verlierern. Einen Güterzug mit Benzin, den er mittels Kredit des Gangsters Dadan über die Grenze umgeleitet hat, verschwindet gleich wieder Zur Tilgung seiner Schulden soll er nun, sehr gegen deren Willen, die von .der romantischen Liebe träumende Schwester des Gangsters heiraten.
Das Schöne ist hier zugleich das Fremde, das sich verbirgt, sein Geheimnis hütet. Nur wer hineintaucht in die Bilder und die Musik, hört momentweise auf, fremd zu sein. So der »magische Realismus« Kusturicas. Seine Gegner sehen die suggestive Kraft seiner Bilder mit Skepsis. Aber Kusturica distanziert sie ja selbst wieder, nicht rational, sondern indem er mit ihnen spielt.
Wie alle Filme Kusturicas lebt auch »Schwarze Katze, weißer Kater« von einer Kamera, die sich gleichsam erstaunt umblickt zu dem, was an Geschehen pausenlos vorüberströmt. Der Augenblick ist flüchtig. So sehen wir, wie im Vorbeifahren, immer wieder ein Schwein, das einen Trabant frißt. Ein einsames Schwein, das nur langsam vorankommt mit dem Fressen seines Trabants. So wie das heutige Jugoslawien, sagt Kusturica.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/748631.orgie-von-einfaellen.html