nd-aktuell.de / 26.06.1999 / Politik / Seite 17

Erster Klasse auf die Straße

Von Henry-Martin Klemt

Brandenburgs Theaterensembles haben genug gelitten«, hatte Brandenburgs Kulturminister Steffen Reiche am 15. Juli vergangenen Jahres zur Grundsteinlegung des 70 Millionen Mark teuren Kleist-Kongreß- und Kulturzentrums verkündet: »Die neuen Theaterheimstätten sind ein 1.-Klasse-Ticket in die Zukunft.« Das Kleist-Theater werde im KKK Arbeitsbedingungen finden, die es so noch nie in seiner über 150jährigen Geschichte gefunden hat, tönte Reiche.

Wohl wahr - die Zeiten mochten noch so mies sein, aber daß es erster Klasse in die Arbeitslosigkeit ginge, war den nach Schleifung von Ballett, Chor und Musiktheater verbliebenen 120 Mitarbeitern des Kleist-Theaters nicht ins Stammbuch geschrieben. Dazu bedurfte es erst einer SPD-CDU-Koalition im Frankfurter Rathaus, die am späten Donnerstagabend mit satter Mehrheit und gegen alle Mahnungen von Kulturausschuß, Deutschem Bühnenverein und PDS-Fraktion die Schließung der Bühne zum 30. Juli 2000 beschloß.

Die Begründungen für das Plattmachen des ersten ehemaligen Bezirkstheaters in den Beitrittsländern ließen an Bigotterie nichts zu wünschen übrig. Ulrich Junghanns (CDU) beispielsweise brachte es nach eigenem Bekunden nicht über das Herz, den auf die Straße Geschmissenen zuzumuten, sich etwa über ein Konzept einigen zu müssen, das zumindest 30 Arbeitsplätze und der Bühne eine - wenn auch karge - Perspektive gesichert hätte. Dabei lagen Vorschläge dafür seit Mona-

ten auf dem Tisch. »Sie wurden ignoriert«, erklärt Dramaturg Alexander Suckel. »Es war eine politische Entscheidung, das Haus zu schließen, und eine miese Vorstellung, wie das durchgezogen wurde.«

Sozialdezernent Martin Patzelt (CDU), der sich schlichtweg dem Auftrag der Stadtverordneten verweigert hatte, ein Konzept für ein kleines Ensemble zu erarbeiten, suchte Argumentationshilfe ausgerechnet bei der Schülertheaterszene wohl wissend, daß Intendant Manfred Weber es nie verstanden hat, dort nicht nur sein Publikum, sondern auch seine Verbündeten zu sehen. Die spielfreudigen Jugendlichen deshalb jedoch als Kronzeugen für die Abwicklung des Theaters anzurufen, ist eine Dreistigkeit für sich, hatte doch erst am Nachmittag einer der Exponenten der Szene dem Kulturausschußvorsitzenden Peter Staffa (B90/ Grüne) verzweifelt entgegengerufen: »Was macht ihr denn da? Was beschließt ihr? Wer soll denn das verstehen?« Staffa indes stand selbst auf verlorenem Posten, als er die Vertagung des Beschlusses und eine Qualifizierung der bislang wortreichen Konzeptlosigkeit bis September beantragte.

Ebenso wie Antje Groth (PDS), die sich gegen die Pläne der Abgeordneten wehrte, durch die vollständige Aufgabe des Theaters jede Möglichkeit für die Arbeitsnehmer abzuschneiden, sich in einen künftigen Theaterbetrieb zurückzuklagen. »Man steigt ja auch über den Berg, wenn das Tal vermint ist«, so Patzelts zynische Interpretation für die Umgehung des Arbeitnehmerschutzes im Interesse einer kurzfristigen Kostenersparnis bei zu erwartenden Abfindungen.

Freilich: Menschen explodieren leiser und für die Verantwortlichen zumeist folgenlos. Außerdem ist der Sechs-Millionen-Gesamtetat für das Theater auch dann verplant, wenn es kein Ensemble mehr gibt. Der Betriebskostenzuschuß von knapp einer Million Mark für das Kleist-Kultur- und Kongreßzentrum beispielsweise ist in den Berechnungen der Verwaltung nie korrigiert worden, seit noch von 170 Theatermitarbeitern die Rede war. Den Frankfurter Stadtwerken als künftigem Betreiber des KKK ist dieser verschleierte kommunale Zuschuß sicher willkommen. Weitere zwei Millionen Mark, die Oberspielleiter Michael Funke als »Gastspiel-Diktat« bezeichnet, ziehen sich ebenfalls durch das Rechenmodell der Verwaltung - auch wenn die sie dementiert, damit dem Druck aus Potsdam für einen Theaterverbund nachzugeben, der Frankfurt (Oder) künftig zu Paketeinkäufen zwänge, um wenigstens irgendein Theaterangebot aufrechtzuerhalten.

Was dann noch an Geld übrigbleibt, soll nach Patzelts Vorstellungen von einer fünfköpfigen Verwaltungsmannschaft als Projektzuschuß für Auftragsinszenierungen ausgerechnet werden. »Wir setzen auf die Initiative von Künstlern, die Projekte konzipieren und der Stadt zum Kauf anbieten, die zugleich mit der Stadt verbunden sind und die kulturpolitischen Entwicklungsziele der Stadt mittragen, wozu natürlich auch die Inszenierung des jährlichen Kleist-Förderpreisträgers als Nukleus unseres Konzeptes gehört«, formulierte Patzelt seinen Wunschzettel, dem lediglich der Zusatz fehlte, daß dieses Superteam sich erst einmal ein Jahr oder länger gedulden müßte, damit die Arbeitsgerichte in ihren Aktivitäten nicht die

Einrichtung eines Nachfolgebetriebes für das städtische Theater erkennen. Andere Abgeordnete gaben sich noch weniger Mühe, ihren Überdruß zu verhehlen. »Wir glauben, die Zeit der Stadtteater ist vorbei«, erklärte Schulamtsleiter Dieter Wachner (Bürgerbündnis) freimütig. »Wir glauben nicht an eine bedarfsgerechte Umstrukturierung des Kleist-Theaters«, sekundierte Marianne Giehlen-Rohmich für die Fraktion »Frauen für Frankfurt«.

Der Beschluß vom März, daß der Oberbürgermeister »ein Konzept für das Kloist-Theater« vorlegen sollte, »nach dem dieses das Kleist Kongreß- und Kulturzentrum (KKK) bespielt«, war demnach nichts als Nebelwerferei. Für Oberspielleiter Michael Funke nahm die Debatte Züge eines »Autodafes« an. Kein Wort sei in der Diskussion darüber gefallen, daß das Kleist-Theater mit 41 000 Zuschauern in dieser Spielzeit an die Vorjahresergebnisse anknüpfen konnte, obwohl es kein Musiktheater mehr gibt, und daß die Theaterauslastung sich mit 67 Prozent in den Bundesdurchschnitt einfügt. »Demokratie heißt auch, Minderheitenbedürfnisse achten«, rief Funke gegen die Wand.

Nach all den Versprechungen, durch Etateinschnitte den verbliebenen Rest zu sichern, stelle der Schließungsbeschluß auch die Würde der Stadtvertretung in Frage. Tatsächlich können diejenigen, die dem Theater Mißmanagement vorhalten, kaum mit eigenen Ergebnissen aufwarten. Selbst offenkundige Synergieeffekte wurden durch die Stadtverwaltung nicht einmal ansatzweise genutzt und von der Mehrheit der Stadtverordneten fast ein Jahrzehnt lang auch gar nicht eingefordert. So gibt es bis heute keine einheitliche Buchhaltung für die kommunalen Kultur betriebe, kein koordiniertes Veranstaltungs- und Ticketmanagement, kein funktionierendes Stadtmarketing, keine funktionale Vernetzung der touristischen und kulturellen Angebole.

Während für Kleist-Theater und Freizeitzentrum Helenesee, für Innenstadtge-

staltung und andere Aufgaben immer häufiger externe Kompetenz herangezogen und teuer bezahlt wurde, stemmte das Rathaus selbst sich jedem externen Controlling entgegen. An betriebsbedingte Kündigungen und Abwicklungen ohne Sozialplan ist im Rathaus so wenig zu denken wie beim Frankfurter Staatsorchester, das zum Kulturreservat der Oderstadt erkoren wurde. Obwohl all dies beim Plattmachen des Kleist-Theaters keine Rolle spielte, könnte der Kahlschlag die Stadt nachträglich doch noch teuer zu stehen kommen. Schließlich wurden die Fördermillionen für den verkappten Theaterneubau von der Landesinvestitionsbank seit 1996 auch unter der Maßgabe ausgereicht, »daß der Zuwendungsbescheid bei der Nichterfüllung von Auflagen oder der nicht zweckentsprechenden Verwendung der Zuwendung ... widerrufen werden kann.« Subvontionserheblich sind »alle Angaben des Antrages ...«.

In diesem Antrag jedoch hieß es ausdrücklich: »In der Theaterkonzeption des Landes Brandenburg hat das Kleist-Theater Frankfurt (Oder) in Hinsicht auf die Infrastrukturentwicklung der verschiedenen Regionen einen besonderen Stellenwert... Mit seinen 170 Mitarbeitern ist das Kleist-Theater das größte Kulturunternehmen vor Ort und ein vergleichsweise großer mittelständischer Betrieb in Frankfurt (Oder)... Als immaterielles Marketingziel in der Außenwirkung der Stadt gilt die Imagepositionierung als DAS Theater- und Kulturzentrum in Ostbrandenburg: die überregionale Bewertung in der Berichterstattung soll im Jahre 2002 die von vergleichbaren und konkurrierenden Theatern wie dem Staatstheater Cottbus übertroffen.« Makulatur.

Die Stimmung der Theaterleute, für die der Schleifbeschluß keineswegs überraschend kam, brachte Schauspielerin Katrin Iluke auf den Punkt. »Mir fällt dazu nichts mehr ein. Ich sage lieber Kleist-Texte auf: Oh, Deutschland, wer rettet dich? Hermannsschlacht. 1. Akt.«