Der Appell der frauenbewegten Liedermacherin Ina Deter in der Blütezeit der West-Frauenbewegung »Neue Männer braucht das Land« forderte Herbert Grönemeyer zu der rockig formulierten Rückfrage heraus »Wann ist der Mann ein Mann?«
Vorwiegend dieser Frage und der Darstellung männlicher Befindlichkeiten widmet sich Walter Hollstein, Soziologe in Berlin, in seinem aktuellen Buch »Männerdämmerung«. Einerseits stellt er fest, daß männliche Reflexion und Besinnung nicht zuletzt unter dem Druck der Frauenbewegung einsetzt und der Aufbruch der Frauen noch keine gleichberechtigten Geschlechterverhältnisse hervorgebracht habe, um dies andererseits mit einer massiven Kritik an der bisherigen Gleichstellungspolitik zu verbinden, die für Hollstein vor allem deshalb gescheitert ist, weil die Frauenbewegung die Männer nicht einbezogen habe, die deshalb uneinsichtig reagieren und Frauenförderung blockieren oder sich wie die CDU dem Frauenquorum verweigern.
Eine solche Beurteilung seiner Geschlechtsgenossen müßte Hollstein eigentlich peinlich sein. Denn nicht böse Frauenzimmer haben männliche Befreiung verhindert, sondern, und das schreibt er an anderer Stelle auch selbst, die mangelnde Bereitschaft von Männern, Macht und Vorteile, die für sie aus der traditionellen Arbeitsteilung entstehen, abzugeben. Nicht zuletzt deshalb haben Frauen die Quote gefordert, zu der er sich allerdings sehr schweigsam verhält. Solche fragwürdigen Einschätzungen sind zudem Geschichtsklitterungen. Denn die Geschichte der Frauenbewegung ist verbunden mit der Entwicklung der Bundesrepublik - zeitweilig mindestens so hoffungserweckend und meist so ambivalent und schwierig wie diese. Anfang der 70er entstand sie aus der Studentenbewegung, die eine politische Aufbruchstimmung bewirkte, allerdings durch die Reformversprechen der sozialliberalen Koalition integriert und kanalisiert wurde. Entpolitisierung und Zersplitterung setzten ein.
Die dadurch entstandenen Defizite offenbarten sich mehr als deutlich in der politischen Handlungsunfähigkeit beim Zusammenschluß beider deutscher Staaten. Daß der Kampf um Arbeitsplätze unter den Bedingungen der seither zunehmenden Massenarbeitslosigkeit auch ein Kampf zwischen Männern und Frauen ist, ist Ausdruck der Unfähigkeit und der Unwilligkeit, Frauenerwerbsarbeit als selbstverständlich zu akzeptieren.
Fast unbemerkt verfestigt sich die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen erneut, verbrämt als »Chance weiblicher Lebensplanung«. Flankiert wird sie durch den Abbau au-ßerfamiliärer Kinderbetreuung, deren Existenz für Frauen immer eine notwendige Voraussetzung für den Zugang zum Arbeitsmarkt darstellte, da es nach wie vor ein individuelles Frauenproblem ist, Beruf und Familie zu vereinbaren. Wirkliche Gleichberechtigung ist allerdings erst dann realisiert, wenn die Verein-
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barkeit von Familie und- Beruf auch für Männer selbstverständlicher Bestandteil ihrer Lebensplanung ist, schreiben Dieter Schnack und Thomas Gesterkamp in ihrem Buch »Hauptsache Arbeit«.
Hollstein beschäftigt dieses Thema jedoch vorrangig als ein Problem der männlichen Selbsterfahrungsebene und weniger als politische Herausforderung. Eben diese Konzentration auf die eigene Befindlichkeit führte zumindest Teile der feministischen Bewegung in eine »Arena der Ich-Spiegelung und einen weltarmen Zustand« (Thürmer-Rohr/»Verlorene Narrenfreiheit«) und letztlich in die politische Orientierungslosigkeit.
Da Hollstein die gesellschaftlich-ökonomischen Rahmenbedingungen und Entwicklungen entweder gar nicht oder nur grob verallgemeinernd einbezieht, bewegt er sich nicht nur oft in der Drehtür der eigenen Argumentation, sondern kommt zu Schlußfolgerungen, die von Feministinnen nicht widerspruchslos hingenommen werden können, wollen sie nicht wieder Lichtjahre hinter ihre eigenen Debatten zurückfallen. Eine maßgebliche Erkenntnis der feministischen Bewegung ist, daß Einheitskonstrukte wie »die Frauen« oder »die Männer« wenig hilfreich sind für politisches Handeln und Bündnisse. Für Christina Thürmer-Rohr sind es »lauter kollektive Singulare, die dem totalitären Denken vorausgesetzt sind« (»Handeln heißt Anfangen«),
Beim Anschluß der DDR an die Bundesrepublik sieht Hollstein vor allem ein Problem in den Ost-Männern, denn »das machistische Potential aus der DDR und
von osteuropäischen Einwanderern wird unzweifelhaft einen >backlash< in der Geschlechterfrage provozieren, da sich dort männliche Verhaltensmuster auf dem Standard unserer fünfziger Jahre bewegt haben«. »Die Männer« aus den ehemals sozialistischen Ländern werden undifferenziert als einheitlicher chauvinistischer Block dargestellt, und im Gegenzug wird der Zustand der Geschlechterverhältnisse in der BRD idealisiert.
Absolut politisch problematisch wird es allerdings, wenn Hollstein behauptet, »vermehrt schwemmen die globalen Migrationsbewegungen Männer aus Ost-Europa, Asien und Schwarzafrika zu uns, die mit dem Gewohnheitsrecht aufgewachsen sind, ihre Frauen als Objekte zu behandeln. Die Gewalttätigkeit junger Immigranten nimmt zu.« Wenn Hollstein sich nicht dem Vorwurf rassistischer Argumentation aussetzen will, sollte er diesbezüglich eine Klarstellung vornehmen. Außerdem sollten »westdeutsche Männerforscher«, bevor sie sich über den Sexismus anderer Kulturen aufregen, zunächst vor Ort Solidarität mit der feministischen Bewegung zeigen, die gegen den strukturellen Sexismus und die Betrachtung von Frauen als Objekte schon etwas länger kämpft. Ein gesellschaftliches Problem - wie das Dauerthema familiäre Gewalt mehr als deutlich beweist.
Hollstein projiziert offensichtlich die Unzulänglichkeit eigener emanzipatorischer Bestrebungen auf andere Gruppen, eine beliebte Methode, um eigene Defizite aus dem Blick geraten zu lassen. Eine Veränderung der Geschlechterverhält-
nisse kann er sich ohnehin nur durch den »weißen Mittelschichtmann« vorstellen - dies klingt wie die Anfangsdebatten der westdeutschen Frauenbewegung. Allerdings haben sich Feministinnen inzwischen mit der »Borniertheit der weißen Mittelschichtfrau« (Birgit Rommelspacher) auseinandergesetzt, die ausschließlich ihre Diskriminierung im Blick hatte und andere Unterdrückungsebenen wie Rassismus und Antisemitismus, in die sie aktiv involviert ist, nicht zur Kenntnis nahm, In den letzten Jahren hat sich zudem in der feministischen Forschung ein intensiver Diskurs über die Verantwortung und die Täterschaft von Frauen im Nationalsozialismus entwikkelt.
Die Sicht von Hollstein auf deutsche Geschichte ist nicht nur eindimensional, sondern auch angesichts der Forschung politisch unhaltbar, denn damit wird der Nationalsozialismus letztlich zum »Hitler-Drama« erklärt (Claudia Koonz/»Mütter im Vaterland«): »Männer wie Hitler, Franco, Himmler, Goebbels, Mengele und Co.« sind danach das Produkt einer gescheiterten Männlichkeitserziehung, denn eine enge und ambivalente Bindung zur Mutter bzw eine nicht gelungene Ablösung von dieser kann die Machtanfälligkeit bei Männern entwickeln und ihre Neigung zu Gewalttaten festlegen. Hitler, Mussolini, Franco waren Muttersöhnchen und kompensierten dieses Schicksal dadurch, daß sie ganze Völker beherrschten, unterdrückten und vernichteten. In dieser Logik ist auch der heutige
Rechtsextremismus ein Männerproblem, und auch für »Vergewaltiger und Kinderschänder« ist demzufolge ausschließlich eine »brüchige Männlichkeit« verantwortlich. Beziehen kann sich diese Theorie sogar auf feministische Erklärungsansätze wie z.B. von Dorothy Dinnerstein und Nancy Chodorow, die ausschließlich auf psychoanalytische Erklärungen bei der Reproduktion geschlechtsgebundener Identität zurückgreifen. Unbestreitbar ist, daß familiäre Konstellationen an der Persönlichkeitsentwicklung einen maßgeblichen Anteil haben. Die Kurzschlüssigkeit dieser Ansätze liegt jedoch in ihrem ausschließlichen Blick auf die Prägung der Kinder durch die Mutter innerhalb der typischen Kleinfamilie. Der Funktionszusammenhang zwischen Reproduktion der Geschlechterrollen und industrieller/kapitalistischer Produktionsweise sowie die damit zusammenhängenden sozio-kulturellen Bedingungen werden in diese Analyse ebensowenig einbezogen wie das Spannungsfeld Familie versus öffentliche Erziehung: Hollstein sieht nur in der Ablösung des Jungen von der Mutter durch die Präsenz des Vaters die Chance für die erfolgreiche Entwicklung zum heterosexuellen Mann. Abgesehen davon, daß hier von ihm eine Zuordnung von Eigenschaften per Geschlecht vorgenommen wird, läßt dies im Umkehrschluß eigentlich nur die Feststellung zu, daß die Söhne alleinerziehender Mütter als »Muttersöhnchen« nur die Perspektive haben, homosexuell oder psychisch gestört zu werden.
Angesichts der Vorschläge Hollsteins zur gesellschaftlichen Veränderung bestätigt sich endgültig das Gefühl, alten Wein in neuen Schläuchen präsentiert zu bokommen. Natürlich brauchen Frauen stärkoro Entlastung, um Familie und Beruf zu vereinbaren, allerdings benötigen sie für diese bahnbrechende Erkenntnis keine »Männerforscher«. Für dioso Forderung wird von der Frauenbewegung bereits soit ewigon Zeiten gestritten, moist ohne erkennbare Solidarität der Männer.
Feministinnen, so Hollstein, sollten die »Männerszene« dabei unterstützen, veränderte Männerbilder an »den Mann« zu bringen, donn die sei damit allein Überfordort. Gleichzeitig redet Hollstein von feministischen Feindbildern, die gemeinsamem Handeln entgegenstehen. Abgesehen davon, daß sich im sozialen Bereich engagierte Frauen um eine emanzipatoriseho Pädagogik bemühen, ist dieses Ansinnen nicht nur wegen der indirekt vermittelten Schuldzuweisung eine schlichte Zumutung. Sich unter solchen Voraussetzungen auf Zusammenarbeit einzulassen, bedeutet für Feministinnen nichts anderes, als an den Anfang ihrer Geschichte zurückzugehen und dem Satz »Die Macht der Männer ist die Geduld der Frauen« eine unrühmliche Aktualität zu geben.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/769501.maennerdaemmerung-oder-politischer-aufbruch.html