nd-aktuell.de / 11.09.1999 / Politik / Seite 17

Glitzergöttin der Nacht

Mario Wirz

Da ist Desiree Nick«, jubelt ein vom Warten auf Berühmtheit erschöpfter Kettenraucher, als endlich etwas Prominenz in Gestalt der schrillen Diseuse Harry's New York Bar im Grand-Hotel Esplanade betritt und die Nähe einer ZDF-Kamera sucht, die so viel spontane Anhänglichkeit prompt belohnt. Etwas enttäuschend das brave Hausfrauen-Outfit für eine skandalöse Diva der Subkultur, aber dafür erscheint sie mit ihrem entzückenden kleinen Sohn und bietet eine madonnaverdächtige Mutterglück-Performance, von der sich nur chronische Neider und Nörgler nicht rühren lassen. Niemand achtet auf den namhaften Denker Nikolas Sombart, der in einem der roten Ledersessel versunken ist und grüblerisch an seinem bunten Cocktail nippt. Ob der Pfau mit der auffälligen Sonnenbrille jemand ist, den man kennen müsste?

Das »Hauptquartier der internationalen Barfliegen« füllt sich mit Publikum, die meisten tres chic. Fast jeder gibt sich Mühe, interessant und wichtig auszusehen, auch die Journalisten, die andächtig in den Pressemappen blättern, die der Berliner Quadriga-Verlag austeilt, der jetzt zu Ullstein gehört.

Doch offensichtlich ist der Mangel an Glamour und flirrendem Getöse, es ist alles etwas zu bürgerlich und provinziell für die Buchpremiere einer transsexuellen Cabaretkünstlerin wie Romy Haag, die nicht nur in Berlin schon seit vielen Jahren als Kultfigur gilt. Glitzergöttin im Olymp der Nächtlichen und Under- , groundlegende. Exotin und Einzelkämpferin. Entertainerin und Showstar von Format. Sind die Skandalsüchtigen frustriert, weil sie sich in ihren Projektionen und Klischees verheddern - von der tabubrechenden Varietekünstlerin, die bereits 1974 mit ihrem legendären Nachtclub »Chez Romy Haag« der verwunschenen Inselstadt West-Berlin die schillernde und

verruchte Aura einer aufregenden Metropole lieh?

Die Rolling Stones und Grace Jones, Tina Turner und Nina Hagen, Bette Middler und Freddie Mercury und viele andere illustre Gäste besuchten diese außergewöhnliche Show in Schöneberg, mit der Romy Haag das deutsche Nachtclubleben der frühen Siebziger revolutionierte. »Was wir präsentierten, war nicht einfach eine Travestieshow sondern ein Spektakel aus lebenden Bildern, wie man sie höchstens aus Filmen von Fellini oder Ken Rüssel kannte, eine Mischung aus klassischen Dragacts ä la Mae West, Starparodien, Special effects und Kostümrevue«. Vielleicht ist es der eigene Mythos, der die vielseitige Künstlerin manchmal überfordert. Nun steht sie schwarz gekleidet neben dem Klavier, in der eleganten Spie-ßigkeit der Grand-Hotel-Esplanade-Bar, lächelt schön und verführerisch wie keine andere, mit gezähmten Raubtieraugen und wundert sich, dass die kaviargesättigten Gäste keine Fragen stellen und singt einige Lieder (»Ich bin von Kopf bis Fuß auf business eingestellt« ). Dann ist die Vorstellung, die mit einer Stunde Verspätung begann (eine Diva weiß, was wir erwarten) nach circa dreißig Minuten vorbei, Applaus und Blumen für den Star, der freundlich seine Memoiren signiert.

Ist es nicht gefährlich, wenn Legenden ihre Erinnerungen veröffentlichen? Wir wissen doch längst alles über sie, alle Triumphe und Niederlagen, alle Skandale und »pikanten Histörchen«, und erfinden sie immer wieder neu, mit glamourösen Details und euphorischer Anteilnahme.

Sie sind es, die unseren tristen Alltag mit Poesie beflügeln, und wir wollen keine Fakten, die uns aus unseren verheißungsvollen Kitschparadiesen auf den Boden der Tatsachen werfen. Romy Haag lässt uns unsere Illusionen und inszeniert, unter Mitarbeit des langjährigen Freundes Martin Schacht, mit professioneller. List^ und charmanter Wahrhaftigkeit eine TBicT^ grafie, in der - allen drastischen Außen-

seiterbetrachtungen und Deutlichkeiten zum Trotz - die tollkühnen und furiosen Aspekte dieses turbulenten Lebens triumphieren. Affären mit Weltberühmtheiten und Milliardären. Künstlerfreundschaften und Intrigen. Anfang der Showkarriere im Pariser Nachtclub »Alcazar«. Erfolge auf den Bühnen ganz Europas und in New York. Skandale und Sensationen. Die leidenschaftliche Beziehung mit David Bowie, über den wir erfahren, dass Kokser »ihren Eigengeruch verlieren und wie ein Chemiebaukasten stinken«. Eine verwirrende Begegnung mit dem Schah von Persien bei einer Gruppensex-Orgie der High-Society. (»Enchante Majeste«). Der berühmte französische Chansonier (sehr ?;^ein!) v ^Jer ein Vermögen in eine Liebes-* “nacht mit der Transsexuellen »femme fatale« investiert und beim Sex seine eige-

nen Lieder hören will - Fiktion oder Tatsache, oberflächlich oder interessant, auf jeden Fall der Stoff, aus dem unsere Gerüchte und Gespräche sind und manchmal auch der Neid angesichts all dieser Abenteuer, vor denen unser Leben so banal und ereignisarm erscheint. Romy Haag, 1951 als Edouard Frans Verba in Den Haag geboren, lässt erzählend die Maske fallen, wie in ihrem spektakulären Auftritt »That is my life«. »In Wahrheit träumte ich davon, auf den Partys Bomben zu legen und diese scheinheilige dekadente Gesellschaft in die Luft zu jagen«, doch bevor wir um unser Leben fürchten müssen, entführt uns die rebellische Diva in die nächste Illusion: »Für mich ist ein Makeup wie ein Gemälde und Schminken eine Kunstform. Der Spiegel ist mein Gefährte und mein Richter. Mit jedem Strich entfer-

ne ich mich von meinem Alltag oder meinen Ängsten.«

Romy, die sich von einem schüchternen Jungen in Den Haag (»Wollen wir mal einen Mann aus dir machen!«) in einen transsexuellen Superstar verwandelt, berichtet mit bekömmlich dosierter Ehrlichkeit auch von Schönheitsoperationen und Tablettenabhängigkeit, von Identitätsproblemen. »Transsexuell zu sein war kein Zuckerschlecken. Man stand Tag und Nacht unter Spannung«, doch sie riskiert nicht, dass zu viel Realismus die Legende demontiert. »Romy Haag hat natürlich sehr viel mit mir zu tun, bleibt aber auch eine Figur, die ich geschaffen habe.«

»Eine Frau und mehr« ist Kolportage und Klatsch, Anekdotensammlung und Abenteuerroman, Bekenntnisliteratur und literarische Soap-Opera und zugleich die nonkonforme und spannende Geschichte eines Kampfes gegen Intoleranz und Vorurteile.

»Ich wollte nie ein Freak sein, ich wollte Respekt.«

Die Legende lebt, ganz egal, in welcher Pose oder Rolle Romy sich gerade ganz aufrichtig erfindet, Künstlerin und Kurtisane (ein bisschen im Stil des 19 Jahrhunderts), Traumfrau und transsexuelle Außenseiterin, Sexidol und Superstar, getaufte Buddhistin (Karma Sonam Lhamo - die Göttin der geistigen Verdienste) und knallharte Geschäftsfrau. Manchmal ist eine gewisse rüde Kälte spürbar, die im Überlebenskampf erworben wurde, und schon deswegen müssen wir Romy lieben und bewundern, um sie für alle Defizite und Verletzungen (»Die Diktatur der Normalen«) zu entschädigen. »Ein Walk on the wilde side ist das Leben auch für mich gewesen, eine Gratwanderung zwischen Glamour und Leid, zwischen Erfolg und Demütigungen - ein Weg, den ich mir nicht immer aussuchen konnte.«

Es ist spät geworden, und auch die zahlreichen Präsidenten der USA, die an der Wand von Harry's New York Bar hängen, sind nicht aus ihrem Rahmen gefallen. Niemand tanzt aus der Reihe. »Zazie de Paris macht eine bessere Show«, nörgelt der prominentengeile Kettenraucher, der noch immer am Tresen herumlungert, neben den üblichen »Barfliegen«, die blind im Licht der nächtlichen Göttin kreisen.