nd-aktuell.de / 28.09.2005 / Politik

Schweizer Sterbehilfe mit Filiale in Hannover

Kirche, Ärzte und CDU kritisieren »Zweigstelle des Todes»

Reimar Paul
Die Schweizer Sterbehilfe-Organisation Dignitas hat eine Zweigstelle in Deutschland gegründet und damit Proteste von Ärzteverbänden, Kirche und Politikern heraufbeschworen.
Dignitas will »das Recht auf einen selbst bestimmten Tod auch in Deutschland durchsetzen«, sagte der Generalsekretär der Organisation und Vorsitzende des deutschen Ablegers, Ludwig Minelli vor Journalisten. Nach Minellis Ansicht begründet die bestehende europäische Rechtslage einen Anspruch auf Freitod. Aktive Sterbehilfe, die in Deutschland wie auch in der Schweiz verboten ist, leiste Dignitas nicht, betonte Minelli. In den sieben Jahren seines Bestehens hat Dignitas nach eigenen Angaben 453 Menschen mit einem hoch dosierten Schlafmittel bei ihrem Freitod unterstützt. 253 davon seien aus Deutschland zum Sterben in die Schweiz gereist. Von der neuen Niederlassung in Hannover dürfen die Sterbehelfer unheilbar Kranke oder anderweitig Lebensunwillig allerdings nur beraten. Das von Dignitas genutzte Präparat Natrium-Phentobarbital fällt hierzulande unter das Betäubungsmittelgesetz. Potenzielle Interessenten würden deshalb vorerst in die Schweiz weiter vermittelt, kündigte Minelli an. Mitglieder der niedersächsischen Hospizstiftung demonstrierten vor der Gründungsversammlung von Dignitas und hielten »Giftampullen« in die Luft. Die kirchennahe Stiftung befürchtet, dass der neue Verein durch Missbrauch zu einer »Zweigstelle des Todes« werden könne. Die niedersächsische Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) und die Bischöfin der evangelischen Landeskirche Hannovers, Margot Käßmann, sprachen sich gemeinsam gegen eine Ausweitung der Sterbehilfe in Deutschland aus. »Die Tötung eines Menschen darf nicht unsere Antwort auf Krankheit und Leid sein«, so das CDU-Bundestagsmitglied Thomas Rachel. Der Präsident des Sozialverbandes Deutschland, Adolf Bauer, warnte »vor der Gefahr, dass damit die Grenzen zur aktiven Sterbehilfe aufgeweicht werden«. Er appellierte an die Aufsichtsbehörden, die Vereinsgründung und die Aktivitäten von Dignitas eingehend zu prüfen. Der Chef der Bundes- ärztekammer Jörg-Dietrich Hoppe sagte, der ärztlich begleitete Selbstmord sei nichts anderes als Tötung auf Verlangen, und das sei in Deutschland verboten. Doch so einfach liegt der Fall juristisch offenbar nicht. Der Strafrechtler Bernd-Dieter Meier von der Universität Hannover spricht von einer »Grauzone«. Aktive Sterbehilfe sei zwar verboten, Probleme bereite jedoch die Selbsttötung. Wenn der Sterbende geistig nicht mehr in der Lage ist, über seinen Tod zu entscheiden, werde es juristisch schwierig. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) begrüßte die Gründung des »Digni- tas«-Ablegers. »Damit verbreitert sich die Basis der Sterbehilfe-Befürworter in Deutschland«, sagte ein Sprecher. Er bemängelte, Deutschland sei in der Schmerztherapie und Palliativmedizin »ein Entwicklungsland.« Der Verein »Dignitas« wurde 1998 in Zürich gegründet. Für eine Aufnahmegebühr von rund 76 Euro und einen jährlichen Beitrag von 38 Euro hilft der Verein bei der Sterbevorbereitung, Sterbebegleitung und beim Suizid. Voraussetzung dafür ist, dass die Mitglieder eine Patientenverfügung unterzeichnet haben. Im Fall von ärztlich diagnostizierten hoffnungslosen oder unheilbaren Krankheiten oder unerträglichen Schmerzen begleite Dignitas die Betroffenen beim Sterben, so die Organisation. Der Schweizer Justizminister Christoph Blocher lässt zurzeit überprüfen, ob Suizid-Hilfe für Personen ohne Wohnsitz in der Schweiz untersagt werden soll.