nd-aktuell.de / 06.11.1999 / Politik / Seite 15

Vom Beschwerdebrief zum Bauernkrieg

Bauern schwören auf die Bundschuhfahne, Holzschnitt aus P Gengenbach «Der Bundschuh» Basel 1514

Während des englischen Bauernkrieges von 1381 fragte John Ball in einer Predigt vor Aufständischen: «Als Adam grub und Eva spann, wo war da der Edelmann?» Die alsbald zum Kampfruf sich ausweitende Frage signalisierte die Sehnsucht der Ländbewohner nach selbstverantworteter Arbeit. Das Land bearbeiteten seit Jahrhunderten Bayern und Bäuerinnen, aber überwiegend nicht als freie, sondern als abhängige Produzenten, die feudaler Herrschaft unterworfen waren.

Feudalherrschaftliche Beziehungen bildeten sich bis zum 9 Jahrhundert zuerst im fränkischen Reich heraus, doch sie wurden über diesen Raum hinaus für den größten Teil Europas charakteristisch. Der Boden, der Eigentum weltlicher oder geistlicher Grundherren war, wurde als Hof mit einer bestimmten Nutzfläche an Bauern übergeben. Mit der Übernahme einer Hofstelle begab der Bauer sich in die Abhängigkeit eines adligen Grundeigentümers, einer geistlichen Institution oder auch eines städtischen Rates, die als Gegenleistung Naturalabgaben, Fronarbeit oder eine Geldrente verlangten. Grundherren waren also von bäuerlicher Arbeit abhängig, wenn sie ihr Eigentum Gewinn bringend nutzen wollten. Diese Antinomie bildete das Grundmuster feudaler Strukturen. Mit dem Entstehen von Dörfern konstituierten sich zudem Dorfgemeinden als Gemeinschaften vollberechtigter Bauern. Die Dorfgemeinde konnte also in einem bestimmten Maß über ihre Angelegenheiten bestimmen, wenn es auch nicht an Bemühungen seitens der Grundherren fehlte, dieses Recht zu beschneiden.

Die Erschließung eines großen Teils des europäischen Kontinents - des «Landesausbaus», so die Fachsprache - gehört zu den herausragenden Kulturleistungen der europäischen Bauern. Es ist müßig zu erklären, wie mühevoll diese Arbeit war, und es liegt in der Natur der feudalen Beziehungen, dass sie konfliktträchtig waren und bäuerliche Proteste, Aufstände und in manchen Situationen Bauernkriege eine signifikante Begleiterscheinung der mehr als 1000-jährigen Geschichte des Feudalismus in Europa waren. Sie hatten nicht zuletzt eine Basis in den Dorfgemeinden, da diese die Willensbildung ermöglichten, die Solidarisierung förderten und die Organisation von Widerstandsaktionen von ihnen ausging.

Dieser Widerstand setzte mit der Ausbildung der feudalen Ordnung ein, indem Bauern sich der Einbindung in feudale Strukturen widersetzten. Aber angesichts der Aussichtslosigkeit, diesen Prozess aufzuhalten, suchten Bauern künftig - vor allem angesichts wachsender Belastungen - einen größeren Teil ihres Arbeitsertrags für sich zu sichern. Deshalb wurden Abgaben oder Fronarbeit öfters verweigert, und nicht selten wurde ein Ausweg mit der Flucht in eine Stadt oder in Gebiete gesucht, in denen bäuerlichen Siedlern Vergünstigungen gewährt wurden.

Doch auch Rebellionen blieben schon frühzeitig nicht aus. Als Kaiser Heinrich IV. und Adlige in Sachsen und Thüringen

zahlreiche Burgen errichten ließen, erlaubte der Kaiser deren Besatzungen, wie ein Chronist berichtet, «sich aus den benachbarten Dörfern und Feldern wie in Feindesland Beute zu holen, auch durften sie die Einwohner der Umgegend zwingen, die Burgen aufzubauen, genügend Baumaterial herbeizuschaffen und persönlich wie Sklaven im Schweiße ihres Angesichts zu fronen». Diese Praktiken und die Belastung der Dörfer mit weiteren Leistungen lösten in den Jahren 1073 bis 1075 einen Aufstand aus, in dessen Verlauf zahlreiche Burgen zerstört wurden. Bäuerliche Erhebungen waren in der folgenden Zeit nicht nur für das mittlere Europa charakteristisch, sie sind bis in die « Gebiete dips.'äffen ffiis'^^and zu Verfolger}.

Da die Existenz von Herren und Knechten als gottgewollt galt, setzten Aufständische sich dem Vorwurf aus, Gottes Willen zu missachten. Doch sie konnten sich auf das Wort der Bibel berufen, dass alle Menschen frei geboren seien. Im »Schwabenspiegel«, einem um 1280 entstandenen Rechtsbuch, war zu lesen, Gott habe die Menschen nach seinem Bild geschaffen, und in den alten Rechten sei nicht zu finden, dass einer des anderen Eigentum sei: »Wir wollen den Herrn darum dienen, dass sie uns schirmen. Und wenn sie die Leute nicht schirmen, so sind diese keine Dienste schuldig.«

Mit anderen Worten: Der Rückgriff auf die biblische Botschaft ermöglichte, bäuerlichen Widerstand zu legitimieren. Als 1502 Bauern im Bistum Speyer sich insgeheim im Zeichen des »Bundschuhs« verbündeten, ließen sie auf ihre Fahne den gekreuzigten Christus malen und dazu die Worte setzen: »Nichts denn die Gerechtigkeit Gottes«. In den während des deutschen Bauernkrieges von 1525 verbreiteten »Zwölf Artikeln« wurde die geforderte Aufhebung der Leibeigenschaft mit dem Verweis auf die Erlösung aller Menschen durch den Kreuzestod Christi begründet. Das »göttliche Recht« rangierte vor den feudalrechtlichen Normen und stärkte das Bewusstsein, eine gerechte Sache zu vertreten.

Zuerst machten meist Beschwerdeschriften öffentlich, was Bauern bedrückte: erhöhte Steuern, Raub von Vieh, gestiegene Zinsforderungen... Solche Belange finden sich in Petitionen bis zum 18. Jahrhundert in vielen Variationen.

Seit dem 14. Jahrhundert häuften sich angesichts mancher Krisensymptome bäuerliche Rebellionen, zuerst in Oberitalien und in Flandern, dann in Frankreich und schließlich in England. Teils lehnten die Aufständischen feudale Herrschaft generell ab, teils wollten sie einen früheren, scheinbar besseren Rechtszustand wiederherstellen. In England und den Niederlanden war die Folge beispielsweise eine Lockerung der Abhängigkeitsverhältnisse und die Öffnung des Weges zu einer freier betriebenen Landwirtschaft, die kapitalistische Züge annahm.

Dieses unterschiedlich motivierte Aufbegehren setzte sich im 15. Jahrhundert in Böhmen, in Schweden und Spanien fort. Der große ungarische Bauernkrieg von 1514 wurde ausgelöst, als das angesichts des päpstlichen Aufrufs zum Kreuzzug gegen die Türken zusammenströmende Bauernheer sich gegen die adligen Grundherren des Landes wandte: Da Gott alle Menschen gleich geschaffen habe, sei es nur billig, wenn der Adel und die Geistlichen wie Bauern lebten, die Bauern aber regierten.

Seit den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts erhoben sich auch in einigen deutschen Territorien bäuerliche Untertanen, und in den Jahren 1524/25 wurde dann ein großer Teil des Reiches von einer machtvollen Aufstandsbewegung erfasst, die das Ziel verfolgte, von feudalen oder territorial-staatlichen Belastungen befreit zu werden, die Rechte der Dorfgemeinden zu sichern, aber auch reformatorischen Forderungen auf dem Lande Geltung zu verschaffen. Die Aufständischen organisierten sich in Bauernhaufen und gründeten »Christliche Vereinigungen«, die gleichsam neue Herrschaftsinstrumente bildeten. Trotz anfänglicher Erfolge vermochten die Aufständischen jedoch der Gewalt der Herrschenden nicht zu widerstehen. Aber den Obrigkeiten wurden eindrücklich die Grenzen ihres Regiments angezeigt, und die Befürchtung, es könne zu neuen Aufständen kommen, setzte sich fest.

Seit dem 16. Jahrhundert findet sich ein breites Spektrum von Motiven, die bäuerliche Aktionen stimulierten (wobei allerdings die wachsende soziale Differenzierung auf dem Lande ein einheitliches Handeln zunehmend behinderte). Es zeichnen sich einige Stoßrichtungen ab, die charakteristisch waren.

Mit der institutionellen Ausgestaltung neuzeitlicher Staaten und deren ständig anwachsenden finanziellen Bedürfnissen wuchsen die steuerlichen Belastungen der Untertanen in vielen Ländern, so dass bäuerlicher Widerstand sich oftmals gegen die fiskalischen Belastungen richtete. Eindrucksvoll zeigt das eine Revoltenkette in Frankreich, die sich gegen die Salzsteuer, aber auch andere Steuern richtete.

Doch auch andere Länder waren mit solchen Bewegungen konfrontiert. Hinzu traten andere negative Entwicklungen, z.B. die Beschneidung bäuerlicher Marktbeziehungen, die schon in Ungarn 1514, aber auch beim Aufstand in Slowenien und Kroatien 1573 eine Rolle spielte.

Konfliktstoff ergab sich zudem aus der Differenzierung der Agrarverfassung, als seit dem 15. Jahrhundert in den östlich von Elbe und Saale gelegenen Gebieten adlige Grundherren Eigenwirtschaften ausbauten und die Arbeitskraft untertäniger Bauern beanspruchten. Damit stieg die Zahl der Tage, an denen Bauern oder deren Gesinde Frondienste zu leisten hatten. Die Bauern suchten sich dieser Verpflichtung oftmals nicht nur durch Minderung der Arbeitsleistung, sondern auch durch die Verweigerung der Fronarbeit zu entziehen. Bäuerlicher Alltag wurde weithin von solchem Verhalten bestimmt, aber auch Bauernaufstände durch die Frondienste veranlasst, zum Beispiel 1680 und 1775 in Böhmen.

Als im Zuge der Reformation sich verschiedene Konfessionen ausformten und

Obrigkeiten beanspruchten, über das Glaubensbekenntnis ihrer Untertanen zu entscheiden, war auch dies gelegentlich ein Motiv für bäuerliche Aktionen. In den habsburgischen Ländern, wo der Protestantismus zeitweilig einflussreich war, waren Untertanen bereit, ihren Glauben bewaffnet zu verteidigen, als sie zwangsweise »rekatholisiert« werden sollten. So verwoben sich in Aufständen während des 16. und 17 Jahrhunderts konfessionelle und soziale Motive. Während des Bauernkrieges in Oberösterreich von 1626 kam dies sinnfällig zum Ausdruck. »Weils gilt die Seel und auch das Gut«.

Das Ziel von Widerstandsaktionen war ferner, die Rechte von Dorfgemeinden oder provinzielle Autonomie zu verteidigen. In Russland verband der Kampf der Kosaken um Privilegien sich in mehreren Bauernkriegen mit der Ablehnung der Leibeigenschaft und dem Verlangen nach Land und Freiheit. Höhepunkte bildeten die Bauernkriege unter Führung Ivan Bolotnikovs 1606 bis 1607, Stepan Razins 1670 bis 1671, Kondrati Bulavins 1707 bis 1709 und Jemel'jan Pugacevs 1773 bis 1775 Heeresmäßig organisierte Aufständische beherrschten zeitweilig beträchtliche Teile des Landes.

Bauern griffen schließlich wiederholt zu den Waffen, um ein Territorium zu verteidigen, eine Aggression abzuwehren oder fremde Herrschaft abzuwerfen. Solche Motive spielten seit dem 16. Jahrhundert in den skandinavischen Ländern oder in der Ukraine ebenso eine Rolle wie in Ungarn oder anderen südosteuropäischen Ländern, wo zudem die freien Soldatenbauern - die Heiducken beispielsweise für die Grenzsicherung gegen die Türken Verantwortung trugen. Während des Dreißigjährigen Krieges von 1618 bis 1648 verfolgten bäuerliche Erhebungen in manchen Territorien das Ziel, belastende Kriegsfolgen abzuwehren, wie Übergriffe von Söldnern, Einquartierungen und Kontributionen.

Selbstverständlich ist nicht zu übersehen, dass die Widerstand leistenden Untertanen meist niedergeworfen und abgestraft wurden. Dennoch blieben die alltäglichen Widersetzlichkeiten sowie die offenen Rebellionen und großen Bauernkriege in einer längerfristigen Perspektive nicht folgenlos. In ihnen manifestierte sich eine Widerstandstradition, mit der Forderungen und Hoffnungen transportiert, organisatorische Erfahrungen vermittelt und die Erinnerung an den Widerstandswillen der Vorfahren wachgehalten wurden. Zum anderen wurden den Herrschenden manche Zugeständnisse abgerungen, die zwar die bäuerliche Situation nicht generell veränderten, aber durchaus Erleichterungen zur Folge hatten. Schließlich waren die Obrigkeiten herausgefordert, nach Mitteln zu suchen, um Konflikte zu vermeiden oder zu entschärfen, und das hieß auch, die rechtlichen Möglichkeiten der Konfliktregulierung auszugestalten und letztlich Reformen einzuleiten, die zur Überwindung der feudalen Agrarverfassung führten.

Als im 18. Jahrhundert mit der Reformpolitik des »aufgeklärten Absolutismus« in einigen europäischen Ländern erste Veränderungen initiiert wurden, stand zwar nicht die Beseitigung der feudalen Ordnung im Zentrum und wurde den Interessen der widerständigen Bauern keinesfalls in Gänze entsprochen, aber eine Entwicklung in Gang gesetzt, die unausweichlich zur Umgestaltung der Agrarverhältnisse führte.

In der englischen Revolution des 17 Jahrhunderts wurde das Verlangen laut, den Boden aufzuteilen, und die Digger praktizierten dies in der Nähe von London, indem sie von unbebautem Land Besitz ergriffen. Mit der Eigentumsfrage war aber das heikelste Thema angesprochen. Doch erst mit den im Verlauf der Französischen Revolution zwischen 1789 und 1794 verabschiedeten Agrargesetzen wurde eine entschädigungslose Aufhebung aller feudalen Rechte und Lasten verfügt und die Eigentumsfrage im Rahmen der bürgerlichen Revolution gelöst. Außerhalb Frankreichs konnten die damit gegebenen Anstöße nicht ignoriert werden. In Preußen wurde die Reformpolitik nicht zuletzt angesichts der Niederlage von 1806 gegen Napoleon forciert; die französische Julirevolution von 1830 drängte dann weitere deutsche Staaten auf den Reformweg.

Spektakuläre Bauernkriege blieben in der folgenden Zeit aus, aber im Zusammenhang mit den Revolutionen von 1848 lebte bäuerlicher Widerstand dort noch einmal auf, wo die Ablösung feudaler Rechte und Verpflichtungen noch anstand oder nicht vollendet worden war. In Paris und Berlin, in Wien und Budapest standen zwar bürgerliche Forderungen im Mittelpunkt, aber in manchen Regionen zielten bäuerliche Revolten auf die Beseitigung noch existierender feudaler Verhältnisse oder die Zuendeführung der Agrarreformen, so in Preußen und in den habsburgischen Ländern. Durch den Krimkrieg wurde die Aufhebung der Leibeigenschaft in Russland 1861 wesentlich angestoßen. Wirklich frei wurden die Bauern indes nicht, denn sie hatten die Lasten der »Ablösung« lange Zeit zu tragen, und sie wurden nunmehr verstärkt in den Industrialisierungsprozess und die kapitalistische Marktwirtschaft eingebunden.