Ulrich Wehling, 1952 in Halle/Saale geboren, in Oberwiesenthal aufgewachsen, brach 1980 m Lake Placid die legendäre olympische Serie des Norwegers Johan Gröttumsbraaten: drei Mal hintereinander Gold in der Nordischen Kombination. Wehlings Vorgänger hatte es hintereinander »nur« auf zwei Mal Gold und ein Mal Bronze gebracht
Foto: ND-Archiv
Ulrich Wehling gehört zu den legendären Gestalten des DDR-Sports. Er wurde drei Mal hintereinander Olympiasieger in der Nordischen Kombination und war in stürmischen politischen Wendezeiten zugleich Präsident und Generalsekretär des Skiverbandes der DDR. Im gesamtdeutschen Sport war dann allerdings kein Platz mehr für ihn. Dafür eröffnete ihm die Weltskiföderation FIS, die ihren Sitz in der Schweiz hat, genauer in Oberhofes am Thunersee, Türen und berufliche Chancen. Der DHfK-Diplomant wurde ihr Renndirektor für die Nordische Kombination und aus der anfänglichen Honorartätigkeit (seit 1992) inzwischen ein fester Vertrag.
»Seit Anfang November 1998 wohne ich mit meiner Frau auch in der Schweiz, in Seftigen«, erzählt er im ND-Gespräch. Wehling ist mit der früheren Weltklasse-Rennrodlerin Eva-Maria Wernicke (1976 in Innsbruck Olympiavierte) verheiratet. Sie haben zwei Töchter- Nadja (22) und Jana (20). Nadja ist Geherin beim SC Berlin, die Jüngere Berliner Meisterin im Skilanglauf. Sie halten gewissermaßen die Stellung in Berlin, das immerhin tausend Auto-Kilometer vom neuen Wohnsitz der Eltern entfernt liegt.
Ob die Wehlings nun auch die Schweizer Staatsbürgerschaft annehmen wollen? »Das ist momentan kein Thema«, meint Wehling, mit dem wir uns jüngst am Rande des Forum Nordicum in Oberhof trafen. Und er scherzt: »Ich weiß nicht einmal, wie hoch die Gebühren dafür sind«. Seine Frau, die in einer großen Firma als kaufmännische Angestellte tätig ist, hat sich -»nicht zuletzt über den Sport« - schnell in der neuen Umgebung eingelebt. Volleyball, Radtouren und Training in einem Fitness-Center. »So sportlich wie meine Frau kann ich allein schon wegen meiner Dienstreisen leider nicht sein«, kommentiert Ulrich fast etwas wehmütig. Er fahre »ein bissei Rad, aber zu wenig«, und natürlich auch Ski, »aber nur an den Wett-Jcampforten vor und während der Veran-
staltungen.« Vor drei Jahren war er übrigens mal komplett in seiner alten Ausrüstung in St. Moritz auf der Alpine-Piste aufgekreuzt. Die, die ihn erkannten, staunten nicht schlecht, ob der »nostalgischen Erscheinung«.
Was wäre eigentlich aus ihm geworden, wäre er nicht in Oberwiesenthal, sondern in Kitzbühel aufgewachsen? »Ganz bestimmt ein guter Alpiner. Ich habe aber auch am Fichtelberg als Alpiner Erfolg gehabt.« Doch nach Winter-Olympia 1968 in Grenoble war der alpine Leistung-Skisport dann von der staatlichen und gesellschaftlichen Förderliste in der DDR verschwunden. »So wurde aus mir ein erfolgreicher Nordischer, und ich habe das nicht bereut. Obwohl ich mich im Langlauf ganz schön schinden musste«, erinnert er an spannende Momente seiner Siege, die in der DDR Millionen an Fernseh- und Rundfunkgeräten rriitverFölgt hatten'. '“?'“
200 von 365 Tagen im Jahr ist Ulli Wehling als FIS-Renndirektor Nordische Kombination rund um den Erdball unterwegs. Er erschloss für die FIS Südkorea als neuen Veranstalter von Weltcup-Mee-
tings und er nimmt mit seinen Erfahrungen auch Einfluss auf kommende Olympiaausrichter. »Ich war aber noch nicht in Afrika, obwohl es dort am Kilimandscharo auch einen Gletscher gibt, allerdings in fast 6000 Meter Höhe. Und sportlich noch nie in Australien.«
Mit einer Neuerung stellte sich Renndirektor Wehling kürzlich in Oberhof den europäischen Skisportjournalisten vor. Man wolle künftig für die Sprungwettbewerbe auf den Einsatz von Wertungsrichtern verzichten. Das hat sofort Diskussionen ausgelöst. »Wir haben momentan fünf Disziplinen in der Kombination und wollen nur in einer die Variante ohne Sprungrichter ausprobieren. Ob es sich bewährt, das wird sich zeigen. Bei den Winterspielen in Salt Lake City 2002 soll alles aber noch so bleiben wie eh und je.«
Wehling kämpft energisch um den Erhalt sein'er klassischen“ Disziplin? Ah'ge-' sichts des Zeitalters der Spezialisierung gehe viele Talente den einfacheren Weg entweder ein erfolgreicher Springer oder ein erfolgreicher Läufer zu werden. »Im Weltcup sind Mannschaften aus 19 Län-
dern vertreten, und die Starterfelder könnten zwischen 150 und 200 Teilnehmer groß sein.« Doch nur die Besten 50 sind für den A-Wettbewerb zugelassen.
»Ich hoffe, dass als zwanzigstes Land bald wieder Schweden dazukommt«, spricht Wehling seine Zukunftspläne aus. Und vielleicht als 21. auch Südkorea. Sein alter Schulfreund Jochen Danneberg hat durch sein Engagement dort die Asiaten in den Weltcup der Skispringer geführt.
»Ich bin nicht so pessimistisch, was die Zukunft angeht. Die Jugend zieht es nicht geschlossen zum Snowboard und zum Trickski.« Ungeachtet dessen ist auch sei 1 ne Kreativität vonnöten, dass die klassischste aller nordischen Disziplinen erhalten bleibt. Der Ur-Wettkampf war vor mehr als einhundert Jahren am legendären Holmenkollen vor den Toren Oslos ein Sprung von der Schanze und nach der Landung begann der Langlauf. »Vielleicht kehren wir dorthin wieder mal zurück«, philosophiert Wehling.
Als Neuheit wird es in diesem Winter zunächst eine umgekehrte Nordische Kombination geben. Sie besteht aus einem 10-km-Lauf auf einer 2,5-km-Runde, Startzeit 9.30 Uhr, mit Massenstart. Um 12 Uhr geht der beste Läufer als letzter Springer an den Ablauf zu den zwei Sprüngen. Und bei diesen werden eben keine Sprungrichter mehr auf dem Turm stehen. »Aber bei einem Sturz oder bei fehlender Telemark-Landung im geforderten leichten Ausfallschritt erfolgen Punktabzüge durch die Jury.« Die Weltpremiere findet am 5. Januar 2000 in Reit im Winkl statt. Wehling: »Der Name unserer Disziplin ist uns Verpflichtung. Wir sind kombinationsfreundlich.«
In dieser Saison läuft, beginnend vom ersten Dezemberwochenende in Lillehammer, nur noch die Weltcup-Serie; es gibt keine Weltmeisterschaft. Nur die Junioren ermitteln ihren Titelträger in der Hohen Tatra, in Strbske Pleso. Dort waren übrigens auch schon mal »richtige« Weltmeisterschaften. Und zwar 1970. Justament im gleichen Jahr war Wehling in Johanngeorgenstadt DDR-Spartakiadesieger geworden. Und schon zwei Jahre später kletterte der noch 18-jährig als jüngster Olympiasieger in der Nordischen Kombination aufs höchste Treppchen. Er siegte erneut 1976 und noch einmal 1980.
Das ist lange her. Doch wer weiß das noch? Ein paar Insider allerdings schon. In der Weltumfrage der Skisport-Journalisten nach dem nordischen Skikönig des Jahrhunderts belegte Wehling hinter zwei Langläufern, dem Norweger Dahlie und dem Schweden Jernberg, immerhin den dritten Platz.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/795483.neuer-start-in-der-schweiz.html