Als Silvia Brendenal im Oktober die Insignien des Ritters für Kunst und Literatur überreicht bekam, geschah das während einer Vorstellung in »ihrer« Spielstätte, der Schaubude Berlin am S-Bahnhof Greifswalder Straße. Dass es sich um ein Gastspiel aus Frankreich handelte, versteht sich, verlieh diesen Titel doch Frankreichs Kulturministerium; dass sich jene Inszenierung an Kinder ab zwei wendet, steht für das Bemühen, auch die Jüngsten durch das Puppentheater »zu beseelen und zu bereichern«. Die Berufung zum Chevalier de l’Ordre des Art et des Lettres habe sie sehr froh gemacht, sagt sie im Gespräch, »nach all dem mühsamen Ringen um einen Platz für diese Kunst und ihre Orte«, dazu von jener Nation, die sie im Puppenspiel am meisten verehre. Wie verläuft das Leben eines Ritters?
Das der Silvia Brendenal begann eher prosaisch. In einem Dorf der Altmark wurde sie in eine Umsiedlerkate hineingeboren, die Mutter polnische Zwangsarbeiterin beim Großbauern, in dessen Gaststätte zu bediente. Dort lernte sie einen Kriegsheimkehrer kennen, 23, vorzeitig ergraut, heiratete ihn. »Polackengören« waren für die Dorfbewohner Silvia und ihre Schwester, hatten eine einsame Kindheit, Silvia ungebunden, als »Wildwuchs« meist im Wald. Mit vier Klassen in einem Raum besuchte sie die kleine Dorfschule, langweilte sich rasch, bis die Familie der besseren Schulbildung wegen ins Nachbardorf zog. In der Kreisstadt legte sie das Abitur ab, die Eltern, Mutter Krankenschwester, Vater Arbeiter in einer Maschinentraktorenstation, lebten weiter ihr dörfliches Leben. »Rumpelstilzchen« von einer Wandertruppe war ihre einzige kindliche Berührung mit Puppenspiel; später hatte sie ein Abo im Theater Stendal, wenn es in Gardelegen auftrat, bewarb sich für Theaterwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin. Die anmaßende Begründung, sie wolle besseres Theater machen als in Stendal, belustigte und überzeugte die Prüfer. Fast nur Sprösslinge von Intellektuellen hatte ihr Studienjahr, nach zwei Jahren war sie daran zu kapitulieren. Da bekam sie am Theater der Freundschaft ein Praktikum bei Horst Hawemann, dem »Magier des Probens«. Durch ihn entdeckte sie den Sinn ihrer Theaterarbeit, über den durch ihn provozierten künstlerischen Produktionsprozess schrieb sie die Diplomarbeit.
Ihren weiteren Berufsweg steuerten seltsamerweise Anrufe. Den ersten erhielt sie 1972 vom Staatlichen Puppentheater, mit rund 70 Angestellten und achtbarem Etat größte Einrichtung dieser Art in der DDR. Als künstlerische Mitarbeiterin blieb sie bis zum nächsten Anruf 1980: Der Chefredakteur von »Theater der Zeit« suchte jemanden, der schreibend das Puppentheater in den Kanon der Künste einreiht. »Eine gute Lehrzeit in Sachen Redakteurs- und Kritikerprofession«, sagt Brendenal, mit Martin Linzer als Meister, von dem sie auch lernte, politisch Kniffliges zwischen den Zeilen zu sagen. Als während der Wende der Zeitschrift die Abwicklung drohte, kam aus Bochum das Angebot, dort ein Institut für Figurentheater, wie in West das Puppentheater firmiert, und Puppenspielkunst aufzubauen. Sie sagte Nein, wurde daraufhin für ein Festival engagiert: »Damit hatten sie mich«, lacht sie. Sechs Jahre lang etablierte sie in Bochum das Theaterinstitut, leitete das noch immer existente Festival Fidena, Figurentheater der Nationen. Die neue Welt des Figuren-, Objekt-, Materialtheaters, des Theaters der Dinge, wie jene Kunst etwa in Frankreich und Belgien heißt, eröffnete sich ihr, »eine künstlerisch unerhört bereichernde Zeit, auch durch internationale Kontakte«. Darum, dass das Puppentheater wie in der DDR gesellschaftlich anerkannte Theaterform war, musste sie in Bochum jedoch ringen. Dort erlebte sie auch das Tanztheater der Reinhild Hoffmann, in Wuppertal das der Pina Bausch, prägende Erlebnisse. Bis man ihr per Telefon empfahl, sich um die Leitung der Schaubude zu bewerben. Kaum war sie in Berlin, wurde der Etat für die Kunstproduktion stark reduziert. Wieder baute sie ein »Nest«, schuf Künstlern Möglichkeiten, sich auszudrücken, kreativ zu sein, stopfte Löcher im »Nest«. Was hieß, Gelder zu beschaffen, so über Koproduktionen und jene internationalen Vernetzungen, die sie aus Bochum mitbrachte. An erster Stelle rangierten da die Kontakte nach Frankreich, nach Charleville-Mézières mit seiner Puppentheater-Hochschule, »der besten weithin«, lobt Brendenal. So organisiert sie alle zwei Jahre mit Absolventen und Studenten internationaler Theater- und Kunsthochschulen, natürlich auch aus Frankreich, an der Schaubude das Festival »Versuchung«.
Die Schaubude ist die Auftrittsstätte der Berliner Puppen- und Figurentheater, deren Spielplan sie immer wieder mit Specials über beispielsweise mühevoll akquirierte EU-Gelder bereichert: »Da geht einem manchmal die Kraft aus«, sagt sie und streitet dennoch weiter für jene Form, die sie als Liaison aus Theater und bildender Kunst versteht, die das schöpferische Mittun des Zuschauers wie kaum eine andere Theaterform braucht, die mit Figuren einen besonderen Blick auf die Welt eröffnet.
Weltentdeckung lautet ihre Devise, nicht Welterklärung, und das mit lediglich vier Mitarbeitern. Silvia Brendenal, Leiterin eines Hauses mit Offerten vom Kleinkind bis zum Erwachsenen bei guter Auslastung und noch voller Pläne, reiht sich nun in die Phalanx jener Ritter ein, die allzeit bereit sind zum Kampf für ihre Überzeugungen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/803261.mutter-courage-des-puppenspiels.html