nd-aktuell.de / 08.11.2012 / Politik / Seite 6

»EU-Europa verschärft den Konflikt«

Vertreter der friedlichen syrischen Opposition in Berlin

Roland Etzel
Obwohl die täglichen Kriegsbilder aus Syrien anderes vermitteln - es gibt durchaus oppositionelle Kräfte im Land, die zwar für Veränderung eintreten, aber gegen Waffengewalt sind. Zwei von ihnen sind derzeit Gast deutscher Friedensorganisationen.
»EU-Europa verschärft den Konflikt«

»Den syrischen Staat aufbauen« haben sie ihre Bewegung betitelt. Das legt nahe, dass sie das Machtgefüge ihrer Republik, wie es bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges existierte, verändert wissen wollen. Es lässt aber auch viele Wege offen und lädt damit zur Mitwirkung ein - unter einer Voraussetzung: Man achtet das Gebot für einen ausschließlich friedlichen Wandel. Darüber berichteten am Dienstag in Berlin Mouna Ghanem und Louai Hussein, die derzeit Gast von Friedensverbänden wie der Ärzteorganisation IPPNW und Pax Christi sind.

Sie sind hier, weil sie mit der Rolle EU-Europas im Syrien-Drama unzufrieden sind und weil sie Aufklärung betreiben möchten. Hussein kritisiert, dass im Westen nur noch von den Interessen dieser oder jener geredet wird und kaum noch vom Kampf um Demokratie. Die Stellungnahmen der EU, spitzt er zu, seien sogar dazu geeignet, den Konflikt noch zu verschärfen. Zu Fragen, wie er dann die Rolle Chinas oder Russlands bewerte, sagt Hussein, er sehe deren Haltung durchaus kritisch. Wie konkret, das sage er ihnen, wenn er dort sei. »Jetzt bin ich hier in Westeuropa.«

Wer den Publizisten darob einer gewissen Regime-Nähe verdächtigt, liegt falsch. Louay Hussein war stets ein unerschrockener kritischer Geist und hat dafür unter Assad sen. und jun. insgesamt acht Jahre Gefängnis auf sich genommen. Auf »nd«-Nachfrage, was er von den Dialogbeteuerungen von Präsident Baschar al-Assad halte, antwortet er mit skeptischem Blick und den Worten: »Assad kann nicht Teil des Demokratieprozesses sein. Demokratie kann nur demokratisch und somit friedlich erreicht werden.«

Hussein blickt zurück: »Im März/April 2011 hatten wir Hunderttausende Demonstranten auf der Straße. Damals sagten mir die Verfechter des bewaffneten Kampfes gegen meinen Rat: ›Wenn wir jetzt zu den Waffen greifen, haben wir in drei Monaten gesiegt.‹ Jetzt dauert der Krieg schon anderthalb Jahre, und Zehntausende sind tot. Ich denke, wenn man auf uns gehört hätte - das neue Syrien wäre längst da.«

Ähnlich habe er sich bereits im Juni auf einer Konferenz von Oppositionellen in Damaskus geäußert. Für den anwesenden Vertreter der EU im Lande war das offenbar unbefriedigend. Dieser wollte von ihm hinterher vor allem wissen: »Sind Sie für oder gegen Assad?« Diese Engstirnigkeit hat ihn sehr verbittert. Außerdem: »Kein ausländischer Vertreter hat das Recht, mir so eine Frage zu stellen.« »Den syrischen Staat aufbauen« steht nicht unter dem Einfluss ausländischer Interessen, auch nicht der der EU. Entsprechend frostig verhalten sich die europäischen Demokratielehrer.

Die Ärztin Mouna Ghanem stimmt in Bezug auf das Diktum, jeglichen Widerstand friedlich zu gestalten und sich gegen jede ausländische Einmischung zu verwahren, völlig mit Hussein überein. Aber sie sagt mit großer Entschiedenheit: »Es gibt keine echte Demokratie ohne Mitwirkung der Frauen, so wie es kein freies Bürgertum ohne Gleichstellung der Frau gibt.«

Die syrischen Frauen wollten nicht länger durch den Krieg zu Witwen gemacht werden und ihre Kinder verlieren; sie seien es leid, Opfer von Vergewaltigung oder Zwangsverheiratung, von Prostitution oder verbrecherischer Entführung zu werden. Und: »Wir syrischen Frauen wollen endlich Einfluss auf Gesellschaft und Politik.« Auch wenn die Gefahr besteht, dass mit Syrien beschäftigte Politiker der EU das wieder nicht verstehen, ist es Mouna Ghanem wichtig festzustellen: »Wir sind keine Initiative von ›Oppositionsfrauen‹ oder ›Regierungsfrauen‹, wir sind offen.«

Mouna Ghanem und Louay Hussein (unten)
Mouna Ghanem und Louay Hussein (unten)