In den vergangenen Wochen hat die Berliner S-Bahn fleißig geübt. Damit sie nicht unvorbereitet in den winterlichen Verspätungs-Fahrplan hineinrutscht, wurden Unpünktlichkeit und Zugausfälle hartnäckig trainiert. Und zwar nicht etwa auf irgendeinem Übungsgelände, sondern ganz realitätsnah, in Echtzeit, unter den wachsamen Augen der Öffentlichkeit. Das Chaos muss schließlich organisiert werden.
Auch die Information der Fahrgäste ist Teil dieses Übungssystems. Manchmal werden die Verspätungen und Ausfälle ohne Begründung mitgeteilt, gelegentlich aber rafft sich die S-Bahn zu einer Erklärung auf. „Wegen Störungen im Betriebsablauf ...", so beginnt die Mitteilung an die wissbegierigen Reisenden dann, und für den Abschluss hält die S-Bahn sogar zwei Varianten bereit. „Wir bitten um Entschuldigung", lautet die eine. Die andere, interessantere heißt: „Wir bitten um Verständnis."
Die letztere Formulierung spaltet die Fangemeinde in zwei Lager. Wofür Verständnis, fragen die einen. Entschuldigung, von mir aus, aber Verständnis dafür, dass man aus unerfindlichen Gründen seine kostbare Lebenszeit auf unwirtlichen Bahnsteigen verplempern muss? Die andere, weitsichtigere Fraktion ist weniger verbissen. Ja, sagt sie sich, es ist gut, dass die S-Bahn den Winter und seine Unbilden nicht einfach abwartet, sondern sich und die Fahrgäste vorbereitet, sozusagen schleichend heranführt, dass sie das Bewusstsein darüber wachhält, dass das Leben voller Fährnisse ist, und so die Vorfreude auf die versehentlich doch vorkommenden pünktlichen Verbindungen noch steigert. Dafür hat man gern Verständnis. Der Winter kann kommen.
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