nd-aktuell.de / 23.01.2013 / Kultur / Seite 14

Liebe zu den Menschen

Reimar J. Baur zum 85.

Christoph Funke

Liebe zu den Menschen, über alle Trauer, alle Bosheit, alle Widerwärtigkeiten hinweg - der Schauspieler Reimar Johannes Baur (Foto: imago) hat sich von dieser so seltsam altmodischen Eigenschaft nicht abbringen lassen. Und holte sie in die Figuren hinein, die er zu gestalten hatte - waren es nun Wissenschaftler oder Mörder, Kleinbürger oder an den Rand menschlicher Existenz getriebene Sonderlinge. Denn das Kauzige, Verrückte dieser Leute auf die Bühne zu bringen, war seine große Leidenschaft. Er verteidigte die Merkwürdigen, Ausgegrenzten, was immer sie zu tun und zu leiden hatten, entdeckte ihren Humor, ihre Lebenskraft über alle Tollheiten und Niederlagen hinweg. Erhabenes und Lächerliches fügte Baur in seinen Bühnengestalten mit einer geradezu beschwingten Leichtigkeit zusammen. Der Schauspieler hatte die einzigartige Fähigkeit, die von den Autoren vorgeschriebenen, vorgedachten Figuren noch einmal zu schaffen. Er ließ gerade die vom Schicksal Benachteiligten aufblühen, spannungsvoll und bedeutsam werden, er machte sie in besonderer Weise reich - nicht zuletzt durch eine hinter aller Verzweiflung hervorgeholte Heiterkeit.

Ein Beispiel nur: Als »Joxer« Daly in Sean O’Caseys »Juno und der Pfau« (1972, Regie Adolf Dresen) zeichnete Baur einen in seiner Fahrigkeit, seiner geduckten Ängstlichkeit scheinbar ganz harmlosen, verschrobenen Kerl. Und zeigte zugleich das Lauern, das hinterhältige Spionieren, die verzehrende Alkoholseligkeit dieses Kleinbürgers aus einem Dubliner Mietshaus um 1922. Denn plötzlich kam da grelle, hasserfüllte Bosheit hinter der verhemmten Freundlichkeit hervor - ein schlimm Gestrandeter flüchtete sich ins Kindische, markierte den Närrischen, machte sich zum Gespött der Bessergestellten, um sein armes Leben zu fristen. Dem putzigen kleinen Säufer verlieh Baur tragische Dimensionen.

Geboren in Trier, ausgebildet an der DEFA-Schauspielschule und der Staatlichen Schauspielschule Berlin von 1949 bis 1952, wird Baur nach Anfängerjahren an verschiedenen Bühnen 1960 Mitglied des Ensembles des Deutschen Theaters. Und dieser Bühne bleibt er über die lange Zeit seiner Schauspielarbeit treu. In Stücken von Shakespeare, Molière und Goldoni, von Hofmannsthal, Brecht und Dario Fo stand er auf der Bühne, in großen und kleinen Rollen, quer durch ein reiches Repertoire zeitgenössischer und klassischer Dramatik. Er spielte den Gloster in »König Lear« (1976, Regie Friedo Solter) den Arzt in »Der Turm« (Hofmannsthal, Regie Thomas Langhoff, 1992) oder, ebenfalls unter der Regie von Thomas Langhoff, den Mitteldorf in Hauptmanns »Der Biberpelz« (1993).

Dem Menschenfreundlichen, dem so klug humorvollen Schauspieler ist das Schicksal leider nicht gnädig. Baur hat mit Erblindung zu kämpfen, und kann diesen Kampf nicht gewinnen. Bei der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft des Deutschen Theaters an Fred Düren, am 1. Mai 2008, hat er seinen letzten großen Auftritt. Von Beifall umtost, liebkoste er noch einmal seine singende Säge - und war danach trotz aller Begeisterung der Zuschauer ein bisschen traurig, weil ihm, so hat er es selbst erzählt, diesmal doch ein Ton nicht so gelungen war, wie er das von sich immer verlangte. Ob es außer ihm jemand gehört hat?