»Ein Roman ist wie der Bogen einer Geige und ihr Resonanzkörper wie die Seele des Lesers« - blumige Worte des großen Stendhal für den intimen Vorgang Lesen, der Stille braucht, Zurückgezogenheit, auch wenn die Gedanken wandern. Ruhe dafür findet sich nun gerade auf der Leipziger Buchmesse nicht. Abgesehen von den Lesebühnen, von denen sich in jeder Halle gleich mehrere finden, den Mikrofonanlagen, die an vielen Ständen aufgebaut sind - auch beim »nd«, wo fast die ganze Zeit über Autorinnen und Autoren zu Gast sind -, selbst die bequemen »Leseinseln« erlauben nicht mehr als ein kurzes Verweilen. Das Messepublikum will möglichst viel sehen und erleben; die Fachbesucher - Verlagsleute, Buchhändler, Journalisten - eilen ohnehin von Termin zu Termin.
Und wäre es still, würde man die Bücher selber rufen hören: Lies mich! Keinesfalls sollst du mich übersehen! Findige Verleger, die sich ihre Stände von Designern konzipieren ließen, haben zusätzlich optische Reize gesetzt. Monsterplakate, Büchertürme. Jede Idee ist willkommen, wenn damit nur für einen Moment Aufmerksamkeit eingefangen werden kann.
Für einen Moment - das meint nicht die Leser, die sich vertiefen möchten und können. Diese Leser müssen einsehen, dass die heutige Buchindustrie ein entsprechend viel größeres Publikum braucht. Literarische Wirkung? Die mag sich dann schon entfalten. Was erst einmal zählt, ist der Verkauf. Buchmesse als Live-Erlebnis: Auch sie selber muss sich doch rechnen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/815753.literatur-live-erlebnis.html