Der Vorschlag[1] von Oskar Lafontaine zur Herstellung eines europäischen Währungsverbundes hat sicherlich auch in Teilen der Partei für Irritationen gesorgt. Gleichzeitig hat er zwischenzeitlich eine inhaltliche Diskussion[2] über unsere Positionen zur Europapolitik ausgelöst. Diese Diskussion ist dringend notwendig und kann zur Klärung unserer Positionierung beitragen. Sie kann auch die Debatte um unseren Entwurf des Wahlprogramms beleben. Mit diesem Artikel will ich gerne dazu einen Beitrag leisten.
Linke Ökonomen haben schon in den 1990er Jahren darauf hingewiesen, welche Probleme es bereiten wird, eine einheitliche Währung ohne gemeinsame Fiskal-, Wirtschafts- und Sozialpolitik herzustellen. Unter diesen Bedingungen war klar, dass der Euro die Starken stärker und die Schwachen schwächer macht. Ohne die Möglichkeit bei Wettbewerbsverlust die eigene Wirtschaft zumindest zeitweise durch Abwertung der eigenen Währung zu schützen, verbleibt nur noch die nackte Konkurrenz um die günstigsten Lohnstückkosten oder wie Altvater formuliert, „die negative Integration Europas durch bloße Liberalisierung der Märkte und Deregulierung der Politik“. Die Stabilitätskriterien von Maastricht drückten aus, dass sich die großen Geldbesitzer mit ihrem Interesse an der Geldwertstabilität gegenüber den sozialen Interessen der Menschen in Europa durchgesetzt hatten. Kein einziges soziales Kriterium (Mindestlöhne, Sozialstandards, usw.) fand Eingang in den Katalog der Bedingungen für die Gemeinschaftswährung.
Die ohnehin vorhandenen wirtschaftlichen Ungleichgewichte wurden und werden durch das deutsche „Exportmodell“ verschärft. Gestützt auf optimale Weltmarktausrichtung in Kernbereichen der Industrie, hohe Produktivitätsstandards und die politisch durch die Agenda 2010 erzwungene Absenkung des Lohnniveaus erzielte und erzielt die deutsche Wirtschaft gigantische Exportüberschüsse, die die Leistungsbilanzdefizite der mediterranen Länder und deren Verschuldung erhöhen. Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland lebt deutlich unter den Möglichkeiten dieses Landes und wird um die Resultate der eigenen Arbeitsleistung gebracht.
Die Rettung der Banken und Investmentgesellschaften, die sich auf den internationalen Finanzmärkten verspekulierten, kostete alleine die Staaten der EU über eine Billion Euro und trieb die Staatsverschuldung deutlich in die Höhe. Die unter der Führung der Merkel-Regierung verordnete Austeritätspolitik führt zur weiteren Demontage des Sozialstaates. Geschichtlich gibt es kein Beispiel, dass es funktioniert, in die Krise hinein Sparpolitik zu verordnen. Die Folge dieser Politik wird unweigerlich die Krise verschärfen und die Massenarbeitslosigkeit mit allen sozialen Folgen in die Höhe treiben. Das ist ein wesentlicher Grund, warum Merkel immer mehr zur Hassfigur in den Krisenregionen von Europa wird.
Die Formation des finanzgetriebenen Kapitalismus nährt sich ohnehin in hohem Maße aus den Resultaten der gewaltigen Umverteilung zugunsten der Geld- und Kapitalbesitzer in den letzten 20 Jahren. Ein neues Wachstums- und Akkumulationsmodell hat diese Formation nicht entwickeln können. Im Gegenteil, sie hat nicht nur die größte Finanzkrise nach 1929 hervorgebracht, sondern gewaltige Destruktionsprozesse in Gang gesetzt. Die Schere zwischen Arm und Reich ist weiter auseinandergegangen, die Sozialsysteme wurden geopfert und teilweise oder ganz zerschlagen, die Massenarbeitslosigkeit erhöht, die Zahl der prekär Beschäftigten krebsartig ausgedehnt, ganze Volkswirtschaften werden in den Ruin getrieben. Die Mehrheit der politischen Eliten sieht keinen Ausweg aus der Unterordnung unter das Diktat der Finanzmärkte und ist dafür sogar bereit Elemente der bürgerlichen Demokratie zur Disposition zu stellen.
Es ist völlig klar, dass ein weiteres ökonomisches Auseinanderdriften der Länder in der Eurozone die Basis des Euro aushöhlt. Im Namen der Eurorettung wird die Basis des Geldsystems Euro zerstört. Es ist jedoch noch weniger vorstellbar, dass die Legitimation gewählter Regierungen bei einer Massenarbeitslosigkeit von über 20 Prozent in Griechenland, Spanien und Portugal, von über 12 Prozent in der EU und einer Jugendarbeitslosigkeit in verschiedenen Ländern von 50 Prozent und mehr länger aufrecht erhalten werden kann.
Welche Perspektive haben diese Regierungen ihrer Bevölkerung anzubieten, bei negativem Wirtschaftswachstum, erodierenden Sozialsystemen, wachsender Armut und dem Ausverkauf öffentlichen Eigentums?
Der Preis für eine Politik, die zum Ziel hat Europa zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, ist für Millionen Menschen zu hoch und es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie ihn länger bezahlen werden. Kanzlerin Merkel spricht offen aus[3], was sie will: „Wie können wir sicher stellen, dass wir in den nächsten Jahren auch eine Kohärenz in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit im Bereich der gemeinsamen Währungsunion erreichen? Und damit meine ich nicht eine Kohärenz in der Wettbewerbsfähigkeit irgendwo im Mittelmaß der europäischen Länder, sondern eine Wettbewerbsfähigkeit, die sich daran bemisst, ob sie uns Zugang zu globalen Märkten ermöglicht.“
Die Reaktion der Völker in Europa auf die Politik der rücksichtslosen Unterordnung unter die nackten Kapitalverwertungsinteressen des weltmarktorientierten Kapitals kann reaktionäre oder progressive Richtungen annehmen. Es besteht durchaus die Gefahr, dass rechtspopulistische oder gar faschistische Kräfte Zuwachs bekommen und den Protest gegen diese Politik in gefährliches Fahrwasser lenken.
Dass dies nicht geschieht wird in hohem Maße davon abhängen, ob es den linken Parteien und Organisation gelingt eine überzeugende Alternative zu entwickeln und gesellschaftlich zu verankern. Diese muss geeignet sein, dem bereits vorhandenen Unmut und dem Widerstand gegen die Politik der Troika eine politische Orientierung und Perspektive zu geben. Aus vielen Gründen glaube ich nicht, dass die Forderung nach einem Währungsverbund mit politisch regulierter Auf- und Abwertung dafür eine Perspektive bietet. Sie wäre allerdings für den Fall eines Zerbrechens des Euro-Systems oder eines Austritts einzelner Länder die bessere Alternative gegenüber einem völlig unkontrollierten Prozess. Ich will nur kurz einige wenige Gründe nennen, die dagegen sprechen:
Entscheidend für die Durchsetzung linker Positionen ist jedoch, dass sie geeignet sind von fortschrittlichen gesellschaftlichen Kräften aufgegriffen zu werden. Eine Alternative zur Politik von Merkel und der Troika wird sich in Europa nur von Unten entwickeln. Die Positionen der Linken müssen also an die Auseinandersetzungen, Kämpfe und sozialen Bewegungen in Europa andocken und von diesen aufgegriffen werden.
Zahlreiche Menschen in Europa gehen nicht für oder gegen den Euro auf die Straße, sondern gegen die Angriffe der Troika, gegen Lohn- und Rentenkürzungen, Massenarbeitslosigkeit, gegen die Verschleuderung öffentlichen Eigentums, gegen die Übermacht der Banken, ungerechte Vermögensverteilung, gegen die Zerschlagung der Tarifautonomie und den Abbau demokratischer Rechte oder auch für höhere Löhne und größere soziale Sicherheit. Wenn sich auch die deutschen Gewerkschaften an der Beteiligung von europaweiten Protesten nach wie vor schwer tun, so gibt und gab es auch länderübergreifende koordinierte Generalstreiks und Protestaktionen, zum Beispiel im November in Portugal, Spanien, Griechenland und Italien.
In diesen und anderen Auseinandersetzungen bilden sich, optimistisch gesehen, neue Kräfteverhältnisse heraus, die die Linke mit beeinflussen kann und in denen sie eine politische Orientierung für eine progressive Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse in Europa aufbauen kann. Der ehemalige Präsident der italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM-CGIL, Giorgio Cremaschi bringt es gut auf den Punkt[4]: „Man sollte nicht bei der Währung anfangen, sondern bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik und den Institutionen, auf die sie sich stützt. Was demontiert werden muss, ist das Europa der neoliberalen Verträge und Auflagen. (...) Die Entwertung der Arbeit zum Zwecke der Exportförderung, die der gemeinsamen Währung zugrunde liegt, muss aufhören. Ebenso muss die Austeritätspolitik umgekehrt werden, und dazu ist eine demokratische Konsultation der Bevölkerung nötig. Europäische Verträge und Auflagen sind Referenten zu unterziehen. Die Frage der Währung stellt sich erst danach, wenn die neoliberale Politik gekippt ist.“
Die Antworten der Partei DIE LINKE gehen in die gleiche Richtung:
„Dazu müssen in Zukunft die Wirtschafts-, Fiskal, -Steuer-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitiken der Euro-Mitgliedsländer enger abgestimmt und der heute vorherrschende Wettbewerb durch Steuer- Sozial- und Lohndumping unterbunden werden“ (Auszug aus dem Entwurf des Wahlprogramms).
Die LINKE hat inhaltliche Positionen entwickelt, die geeignet sind, an die tatsächlichen Auseinandersetzungen gegen die neoliberale Hegemonie anzuknüpfen und zumindest Bausteine für die Entstehung eines sozialen, demokratischen, solidarischen, friedlichen und ökologischen Europas zu formen. Eine Abkürzung zu den dafür erforderlichen gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen, der Verbreiterung sozialer Kämpfe und der Herausbildung europäischer und internationaler Solidarität gibt es nicht.
Die diskutierte Frage ob dafür eher der nationale oder der europäische Schauplatz gewählt werden soll ist falsch gestellt. Natürlich muss auf nationaler Ebene für soziale Forderungen und demokratische Rechte mit aller Entschlossenheit gekämpft werden, aber es kann doch keinen Zweifel geben, dass das Kapital und die Konzerne längst europäisch und international verflochten und vernetzt sind und diese ökonomische Macht auch politisch zur Durchsetzung ihrer Interessen einsetzen. Das ist doch gerade die materielle Basis der neoliberalen Hegemonie in Europa. Die Beschäftigten internationaler Konzerne machen in immer kürzeren Abständen die Erfahrung wie ihre Standorte gegeneinander ausgespielt werden, und wie ohnmächtig sie sind, wenn sie nicht in der Lage sind grenzübergreifende Solidarität herzustellen.
Deshalb führt an der Zusammenarbeit, Koordination und Verständigung der Gewerkschaften, Linksparteien und Gruppen der sozialen Bewegungen kein Weg vorbei. Unser Programm und unsere Politik müssen dazu beitragen diesen Prozess zu befördern. Um mit dem Politikwissenschaftler Elmar Altvater zu schließen: „Die Bändigung des entfesselten Kapitalismus (oder seine Überwindung B.R.), die Regulierung von Finanzmärkten, sozial gesicherte Arbeitsplätze und die Wende zu erneuerbaren Energien sind Millenniumsaufgaben; in jedem Falle lassen sich diese besser in einem vereinten Europa bewältigen, als in einem durch den Spaltpilz der Finanzkrise und die Nullsummenspiele der Abwertungsraserei getrennten und vermutlich zerrütteten Europa.“
Bernd Riexinger ist Vorsitzender der Linkspartei.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/821111.es-geht-nicht-um-den-euro-sondern-um-die-europaeer.html