Kairo (Agenturen/nd). Hunderttausende Ägypter haben Präsident Mohammed Mursi am Jahrestag seines Amtsantritts zum Rücktritt aufgefordert. Massendemonstrationen fanden am Sonntag in der Hauptstadt Kairo sowie in Alexandria, im Nildelta und in weiteren Städten des Landes statt. Mursi, dessen Unterstützer ebenfalls auf die Straßen strömten, betonte seine Dialogbereitschaft.
Nachdem in dieser Woche bereits acht Menschen bei Protesten der rivalisierenden Lager getötet wurden, gab es auch am Sonntag Befürchtungen, die Gewalt könne erneut eskalieren. Im ganzen Land waren daher am Sonntag besonders vor wichtigen Einrichtungen verstärkt Polizisten und Soldaten im Einsatz.
Allein auf dem symbolträchtigen Tahrir-Platz im Zentrum der Hauptstadt Kairo versammelten sich zehntausende Menschen, die Mursis Rücktritt sowie vorgezogene Neuwahlen forderten. »Das Volk will den Sturz des Regimes«, riefen die Demonstranten, von denen viele Fahnen schwenkten und rote Karten mit der Aufschrift »Verschwinde« in den Händen hielten. Am Abend waren Protestmärsche zum Präsidentenpalast geplant. Auch in Suez und Port Said sowie in Mursis Geburtsstadt Sagasig gingen die Menschen auf die Straße.
In dem Kairoer Vorort Nasr City versammelten sich Anhänger des Präsidenten, die seit Tagen zu Tausenden dort campieren. Sie folgten einem Aufruf seiner Partei nach einer »allgemeinen Mobilisierung«, um Mursis Legitimität zu stützen. Zahlreiche Geschäfte blieben am Sonntag aus Sorge vor Unruhen geschlossen. Bewohner legten Vorräte an Benzin und Lebensmitteln an.
Auf Seiten der Opposition wurden die Demonstrationen von der Kampagne Tamarod (Rebellion) mitorganisiert, die nach eigenen Angaben 22 Millionen Unterschriften für den Rücktritt Mursis und vorgezogene Neuwahlen gesammelt hat. Dies wären deutlich mehr als die 13,23 Millionen Wähler, die Mursi im Juni 2012 zum Sieg verholfen hatten.
Mursis Sprecher Ehab Fahmi sagte vor Journalisten, der Dialog sei der »einzige Weg, über den wir eine Einigung erzielen können«. »Die Präsidentschaft ist offen für einen wirklichen und ernsthaften nationalen Dialog.« Gleichzeitig forderte er die Demonstranten auf, den »friedlichen Charakter« ihrer Bewegung zu wahren.
Ein Jahr nach dem Machtantritt Mursis ist Ägypten zutiefst gespalten. Während seine Anhänger darauf verweisen, dass er der erste demokratisch gewählte Präsident ist, werfen seine Gegner ihm vor, allein die Interessen der Muslimbruderschaft zu vertreten, aus der er hervorging. Zudem kritisieren sie, dass er es nicht geschafft habe, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Die Arbeitslosigkeit und die Inflation stiegen stark an, die Währung verlor an Wert. Zudem liegt die wichtige Tourismusindustrie am Boden.
Am Samstag hatten mehrere Parlamentarier ihren Rücktritt bekannt gegeben, um die Opposition zu unterstützen. Mindestens acht Abgeordnete der Schura, dem Oberhaus des Parlaments, legten ihre Mandate nieder und mehrere weitere reichten nach Angaben der Volksvertretung ein entsprechendes Gesuch ein.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/826081.hunderttausende-demonstrieren-verschwinde-mursi.html