Die Kristalle sind das Ausgangsmaterial für die Linsen in Belichtungsanlagen für die Halbleiterindustrie und die Grundvoraussetzung für die Produktion der nächsten Chip-Generation. Deren hoher Integrationsgrad erfordert zum Übertragen feinster Strukturen den Einsatz extrem kurzwelligen Lichtes, für das die Beständigkeit der heute verwendeten Quarzgläser nicht mehr ausreicht. Die ersten Pilotlinien für diese 157-Nanometer Technologie in der Halbleiterfer tigung werden für 2003 erwartet.
Mit der neuen Fabrik hat das Unter nehmen nach Darstellung von Vorstandssprecher Leopold von Heimendahl die Führungsrolle bei optischen Materialien für die Chipherstellung übernommen. Zugleich sei es damit zum Komplettanbieter optischer Materialien für die Mik rolithografie, der Basistechnologie in der Chipherstellung, geworden. Das Unter nehmen sei nun mit einer kritischen Komponente vom Standort Deutschland aus global wettbewerbsfähig für die an der Spitze des Fortschritts stehende Halbleiterindustrie.
Wie anspruchsvoll die Kristallzucht- Technologie ist, wird daran deutlich, dass schon ein Stromausfall von fünf Sekunden einen Produktionsausfall von zehn Tagen zur Folge hat. Die Kristalle, die pro Tag etwa einen Zentimeter wachsen, verändern schon bei geringsten Temperatur Schwankungen in der Kristallisationszone ihr Wachstumstempo und werden dann unbrauchbar. Höchste Reinheitsforderungen werden auch an das Ausgangsmaterial gestellt. Bereits ein Sauerstoffatom pro Kubikzentimeter macht es wertlos.
Das Schott den Schritt vom innovativen Glashersteller zum Spitzenreiter in der Kristallzucht gehen konnte, verdankt es letztlich dem volkseigenen Kombinat Carl Zeiss Jena. In der Saalestadt war bereits 1958 der erste Kalziumfluorid-Zuchtkristall hergestellt worden. In einem Spezialbetrieb in Eisenberg betrieb das Kombinat dann intensiv Kristallzucht. Nach der deutschen Vereinigung und der Liquidation des Kombinates blieb der Eisenberger Betrieb als Ladenhüter übrig und war vom Aus bedroht. Einige Mainzer Forscher haben dann die Potenzen er kannt, die in dem thüringischen Knowhow stecken und daraufgedrängt, den inzwischen an eine österreichische Firma verscherbelten Bereich zurück zu kaufen, berichtet Heimendahl dem ND Ohne diese Übernahmemöglichkeit hätte Schott keine Chance gehabt, in das komplizierte Gebiet einzusteigen und die Technologie so rasch zu einem Spitzenniveau weiter zu entwickeln.
Jetzt eröffnet die Kristallzucht dem Unternehmen die Chance, damit ähnlich revolutionierend tätig zu werden, wie seinerzeit Otto Schott in der Glaschemie. Mit Argusaugen verfolgen die Mainzer und Jenaer derzeit den Einstieg des amerikanischen Unternehmens Corning in die Fluoridkristallzucht. Die US-Firma, die Schott in der Glaschemie wiederholt vor aus war und die Mainzer zur Aufholjagd zwang, ist nun ihrerseits zweiter Sieger. Obwohl sie der einzige ernst zu nehmende Konkurrent ist, begrüßt man bei Schott das Auftauchen des zweiten Produzenten, da das den Abnehmern der Kristalle eine gewisse Sicherheit biete, dass nicht plötzliche Engpässe entstehen. Daraus könnte leicht eine Aversion gegen das Material entstehen. Die noch existierenden kleineren Anbieter können weder in der Qualität noch in der Dimension die Abnehmerfor derungen erfüllen, hieß es in Jena.
Weltweit gibt es nur vier Hersteller von Belichtungsanlagen, für deren Optiken Fluoridkristalle eingesetzt werden sollen. Pro Linsensystem sind dabei für die 157 Nanometer Technologie etwa 140 Kilogramm Kristalle nötig. In Jena wird nach Unternehmensangaben pro Anlage alle zwei Monate ein Kristall von rund 100 Kilogramm fertig, über dessen Dimension sich die Hersteller allerdings ausschweigen. Die Anzahl der gemeinsam mit einem hessischen Unternehmen entwickelten Zuchtanlagen soll sich in den nächsten Monaten von derzeit 32 auf rund 70 erhöhen. Inzwischen wird schon über das Anmieten einer zweiten Halle debattiert, um die Kapazitäten rasant steigern zu können. Angesichts des Zeitdrucks sei der Neubau von Hallen ausgeschlossen, heißt es bei Schott, das die Produktionsstätten von der Jenoptik AG mietet.
Schott ML, das einem internationalen Konsortium für die Entwicklung künftiger Generationen von Lithografiesystemen für die Halbleiterindustrie angehört, hat sich seit seiner Gründung vor zwei Jahren rasant entwickelt. Die Beschäftigtenzahl wuchs um ein Drittel auf 200 und wird mit dem Ausbau der Kalziumfluorid-Kristallzucht weiter steigen. Der Umsatz verdoppelte sich jährlich auf etwa 35 Millionen Mark in diesem Jahr und soll bis 2002 rund 100 Millionen Mark erreichen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/854701.wiegen-nach-kilo.html