Heute kann der Kunsthistoriker Wolfgang Hütt in Halle seinen 75. Geburtstag feiern. Viele werden einstimmen in meinen Glückwunsch an den Freund seit weit zurückliegenden gemeinsamen Studientagen. Ein halbes Jahrhundert lang wirkte Wolfgang schreibend und redend nicht nur für die Künstler in Halle und die Künstler in der DDR, sondern half unzählbaren Lesern, sich den ganzen Reichtum der Kunstgeschichte zu erschließen.
Von allen, die im Osten Deutschlands über bildende Kunst schrieben, war Hütt, der 1945 als Volkskorrespondent und dann als Rundfunkreporter anfing, zweifellos der produktivste - mit Künstlermonographien, Katalogeinführungen, großen zusammenfassenden Darstellungen und kleinen Zeitungsartikeln, alle sorgfältig recherchiert, kunstsinnig, lebendig und verständlich geschrieben. Er krönte dies mit dem gewichtigen Band «Wir und die Kunst», der 1959-88 in acht mehrmals überarbeiteten Auflagen und insgesamt etwa 100 000 Exemplaren vom Berliner Henschelverlag herausgebracht wurde. Ein großer Vorgänger im halleschen Institut, Wilhelm Waetzoldt, hatte einst «Du und die Kunst» verfasst. Dem Sozialisten Hütt erschien das «Wir» wichtiger.
«Volksbildend» zu wirken - bis hin zu Kunstbüchern für Kinder - war dem Wuppertaler Maurer, den das Kriegsende nach Eilenburg, später Halle verschlug, ein selbstverständlicher Sinn für die Wissenschaft, die er als einer der ersten Arbeiterund Bauernstudenten in Halle studieren konnte. Andererseits musste er die längste Zeit mit seiner Familie von seinem fleißigen Schreiben leben, weil er nach acht Jahren Forschung und Lehre an den Universitäten Halle und Leipzig 1961 aus der SED und der Hochschullaufbahn ausgeschlossen wurde. Er hatte kein Verständnis für die Mauer bekunden können, die ihn von Eltern und Heimat trennte. Einem wesentlichen Stück der Kunstgeschichte seiner Heimatregion, der Düsseldorfer, z. T. sozialkritischen Malerei des 19 Jahrhunderts, galt von der Dissertation 1957 an seine intensivste Forschung. Sie war anfangs der allgemeinen Wissenschaftstendenz um Jahre voraus.
Wolfgang Hütt machte seinen bisherigen ereignisreichen Lebensweg, sein Er leben, Handeln, Denken und Fühlen, das Bedingt-Werden durch Umstände und Zufälle wie sein eigensinniges Selbst-Entscheiden in drei detailreich-anschaulichen und anrührenden autobiografischen Büchern nachvollziehbar. Sie erschienen 1982 in Berlin, 1997 in Wuppertal, 1999 in Halle. Er ließ sich seine Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft als diejenige, die er als Kind und Soldat am eigenen Leibe verspürt hatte, nicht von denen nehmen, die sein Mit-Tun behinderten, ihn als ver dächtig überwachten, auch einen zweiten, kurzen Anlauf als Direktor der Moritzburg-Galerie in Halle 1971 zum Scheitern brachten. Für ihn überwog nicht zuletzt das Vertrauen, die Freundschaft vieler Künstler, in deren Ateliers er neugierig und lernbereit zu Hause war, denen sein Schreiben den Weg bahnen half, die den ebenso Charakterfesten wie Freundlich- Bescheidenen immer wieder in Leitungen des Künstlerverbandes und in Beiräte wählten.
Zuletzt las ich von ihm die Neufassung von «Die Düsseldorfer Malerschule» (Leipzig 1995), seine zweite Monografie über Willi Sittes Gemälde (Bönen/Westfalen 1995), seinen Einspruch gegen die entstellende Behandlung von DDR-Kunst in der skandalösen Weimarer Ausstellung von 1999 und seine Beiträge zum in diesem Jahr erschienenen Bestandskatalog der Galerie Moritzburg. Ich bin ganz zuversichtlich, dass ich auch künftig noch viel Neues von meinem alten Freund lesen kann.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/873965.er-und-die-kunst.html