nd-aktuell.de / 30.05.2006 / Wirtschaft und Umwelt

Obdachlos wegen Mietschulden

Immer weniger Chancen auf dem Wohnungsmarkt für sozial Schwache

Oliver Förste, Hannover
Seit Anfang 2003 dürfen Wohnungsunternehmen Auskünfte über Schulden ihrer Mietinteressenten einholen. Insbesondere für sozial Schwache und Hartz IV-Empfänger steigen damit die Hürden, eine Wohnung zu finden.
Durch Anfrage bei der Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung - kurz Schufa - überprüfen heute viele Wohnungsunternehmen die Zahlungsfähigkeit künftiger Mieter. Zwar darf die Auskunft nur mit Zustimmung der Betroffenen eingeholt werden, aber wer die Zustimmung nicht erteilt, wird eben auch keinen Mietvertrag erhalten.
Dieses Vorgehen kann insbesondere für sozial schwache Menschen zum existenziellen Problem werden und in die Obdachlosigkeit führen. Denn mit hohen Schulden und insbesondere Mietschulden hat man heute kaum noch eine Chance, überhaupt eine Wohnung zu finden. Sabine Sell, Sozialarbeiterin bei der Zentralen Beratungsstelle für Wohnungslose der Diakonie Hannover (ZBS), schildert das Problem ihrer Klienten, seitdem die stadteigene Gesellschaft für Bauen und Wohnen Hannover (GBH) vor drei Jahren begann, Schufa-Auskünfte einzuholen. »Es begann damit, dass Leute, die bei ihnen selber Mietschulden hatten, keine Wohnung mehr bekamen. Dann waren es auch Leute, die woanders Mietschulden hatten, dann solche, die überhaupt Schulden hatten. "Schlechte Schufa-Auskunft, keine Wohnung", hieß es schließlich.«
Mittlerweile gebe es kaum noch eine Wohnungsgesellschaft, die auf eine Anfrage bei der Schufa oder der Kreditreform verzichte. Auch Wolfgang Klein (Name von der Redaktion geändert) kann ein Lied davon singen. Er hat es nur geschafft, nach Jahren der Obdachlosigkeit endlich wieder eine Wohnung anzumieten, weil seine neue Freundin für ihn bürgte. Aber nicht jeder hat so vertrauensvolle Freunde mit ausreichend vorhandenem Einkommen. Ein großer Teil der Wohnungslosen, die sich mit Hilfe der ZBS um eine Wohnung bemühen, werde wegen Schulden abgelehnt, berichtet Diplompsychologe Günther Henß: »Viele resignieren dann und sagen: "Mit meinen Mietschulden habe ich bei der Wohnungssuche sowieso keine Chance, da schlafe ich lieber bei einem Kumpel oder mach' Platte auf der Straße."«
Auf der anderen Seite hätten die Wohnungsgesellschaften handfeste Gründe für ihr Verhalten, erklärt GBH-Sprecher Frank Ermlich mit Hinblick auf die »Mietnomaden«. Das Geschäftsinteresse verbiete es, unbefristete Mietverhältnisse einzugehen, ohne dass die Zahlungen regelmäßig gewährleistet seien. Diplompsychologe Henß hält dem entgegen: »Diese so genannten Mietnomaden, die sich in eine Wohnung einmieten, von vornherein nichts bezahlen und dann so- lange drin bleiben, bis sie umziehen müssen und dann das Spielchen woanders weiterbetreiben, solche Leute treten in unserem Personenkreis überhaupt nicht auf. Die haben eigentlich gutbürgerliche Lebensläufe und wollen die Vermieter nicht betrügen, sondern haben Probleme, ihr Geld einzuteilen und früher Schulden gemacht.« Hohe Kosten für Vermieter könnten aber auch bei Problemgruppen wie Drogen- und Alkoholabhängigen entstehen, betont ein Wohnungsverwalter. Mietverluste sowie Räumungs- und Gerichtskosten könnten sich leicht auf bis zu 6000 Euro summieren, in manchen Fällen kämen noch Instandsetzungskosten bis zu 10 000 Euro hinzu.

Wohnungsvermittlung ist oft aussichtslos
Zweifellos sind solch eklatante Fälle nicht die Regel, und um sozial schwachen Wohnungssuchenden zu helfen, verfügt die Stadt Hannover über das so genannte Belegrecht. Mit einem vom ehemaligen Wohnungsamt ausgestellten Berechtigungs-Schein hat der Inhaber das Recht auf die Zuweisung einer Wohnung. Heute heißt das Wohnungsamt »Bereich Stadterneuerung und Wohnen«, Leiter der Behörde ist Alfons Damschick: »Wer zu uns kommt, bekommt woanders nichts, das sind zum Beispiel allein Erziehende, ausländische Mitbürger oder Geringverdienende.«
Für Belegrechtswohnungen zahlt die Stadt Geld an den Vermieter, zurzeit bestehen Vereinbarungen mit etwa einem Dutzend Gesellschaften. Darauf verweist auch Frank Ermlich von der GBH: »Wenn uns die Wohnungsvermittlung einen Mieter zuweist, dann nehmen wir den auch. Diese Zuweisung ist bindend, und dafür sind wir ja eine städtische Gesellschaft.«
Alfons Damschick berichtet, dass etwa ein Drittel der Hilfesuchenden Mietschulden habe und manche deshalb in die Obdachlosigkeit gerieten. »Wenn sie keine Mietschulden haben, bekommen wir es meist hin, ihnen eine Wohnung zu vermitteln. Aber bei einigen geht es gar nicht, wenn sie zum Beispiel Schulden bei drei verschiedenen Vermietern haben.« Eigentlich sei der Wohnungsmarkt entspannt, aber dort spiegele sich die allgemeine soziale Situation, in erster Linie die hohe Arbeitslosigkeit.
Sabine Sell von der ZBS ergänzt: »Natürlich haben wir die Möglichkeit, über die soziale Wohnraumhilfe auch denen zu helfen, die auf dem normalen Wohnungsmarkt keine Chance haben. Nur ist das Kontingent begrenzt, und irgendwann sind die Wohnungen alle belegt.« Die ZBS hat außerdem die Möglichkeit, Schuldnern mit einer freiwilligen Geldverwaltung durch die Betreuer unter die Arme zu greifen. Damit könne auch eine regelmäßige Mietzahlung gewährleistet werden, betont Sabine Sell. Dennoch würden die Wohnungsunternehmen nur im Ausnahmefall darauf eingehen. Sie berichtet von einem Wohnungssuchenden mit Altschulden bei der GBH, der aber eine anständige Summe angespart hatte: »Ich habe Kontakt aufgenommen und der GBH mitgeteilt, er sei bereit und in der Lage, die Schulden in Raten abzuzahlen.« Darauf habe sich die GBH nicht einlassen wollen. Dazu hätten das Sozialamt, die Agentur für Arbeit und der Gläubiger selbst die Übernahme der Mietschulden abgelehnt.

Hartz IV verschärft die Lage noch
Die Kredit-Anfrage sei »mittlerweile bundesweite Praxis« nahezu aller Wohnungsunternehmen, berichtet Thomas Seethaler vom Forum Schuldnerberatung. In seiner Heimatstadt Heidelberg werde selbst bei einem Wohnungswechsel innerhalb der städtischen Wohnungsgesellschaft nach Altschulden gefragt. Von Kollegen und aus eigener Erfahrung als Berater weiß er, dass insbesondere seit der Einführung von Hartz IV immer mehr Menschen Probleme wegen ihrer Schulden bei der Wohnungssuche bekommen.
Sabine Sell kann sich nur an ein einziges positives Beispiel aus den vergangenen Monaten erinnern. Es ging um einen ehemaligen Obdachlosen, den die Agentur für Arbeit aufgefordert hatte, seine nach Hartz IV zu teure Wohnung zu wechseln. »Er hatte deshalb extra Geld gespart und sich im privaten Wohnungsmarkt bemüht«, berichtet die Sozialarbeiterin. Sie habe auch die Agentur für Arbeit angerufen. »Dort hieß es aber nur: "Jetzt kriegt er nur noch soundso lange Geld, und er hat umzuziehen".« Sabine Sell wies auf die Mietschulden des Mannes hin, erklärte, dass man froh sei, dass er überhaupt eine Wohnung habe. »Aber die war eben zu teuer, und deshalb sollte er da raus.«
Daraufhin setzte sie sich hin und telefonierte die Wohnungsgesellschaften durch. Bei einer Norddeutschen Immobiliengesellschaft hatte sie dann endlich Erfolg: »Ich habe der Sachbearbeiterin erklärt, dass wir uns um den Mann kümmern und für eine regelmäßige Mietzahlung sorgen, und schließlich hat sie ihre Zustimmung gegeben.« Leider ist das nur einer der wenigen glücklichen Ausnahmefälle.

Tipps für Hilfesuchende unter:
www.forum-schuldnerberatung.de