Ich lese gerade den »Kleinen Hobbit«, kann man ja mal machen, wenn man rekapituliert, welche Bücher man als Kind und Jugendlicher beeindruckend fand. Bei solchen Selbstversuchen kommt zuweilen Spannendes heraus: Tolkien gewinnt, der Humor ist mir damals glatt entgangen, Hesse muss ich heute nach wenigen Seiten zu ebendieser legen.
Der Hobbit mit seinen haarigen Füßen aber hat mir endgültig die Augen über mein soziales Umfeld geöffnet: Ich lebe im Auenland der Bundesrepublik Deutschland, einem entlegenen Winkel von Angelas Reich. Hier gibt es einige Täler, in die die Sonnenstrahlen der Zivilisation noch nicht eingedrungen sind. Dafür gedeihen im Dunkeln die Kirchen besonders gut. Wer ihnen seine Kinder nicht bereits unmittelbar nach der Geburt zur Markierung mit Wasser und Sakralgeblubber anvertraut, gilt den Tal-Heimern als aussätzig, Womöglich ist er noch nicht einmal ein Schwulenfeind.
Regelrechte Prachtexemplare in Sachen Homophobie sind hingegen die schwäbischen Rednecks, die derzeit in die Bildungspolitik im deutschen Südwesten hineinpfuschen. Zuvorderst ein Realschullehrer (merke: Der Radikalenerlass gilt nur dann für religiöse Fanatiker, wenn sie die falsche Religion haben), dem die Politik des sozialdemokratischen Kultusministers eine Dornenkrone im Auge ist. Der Sozi will den Schülern doch tatsächlich fächerübergreifend vermitteln, dass es so etwas wie Homosexualität gibt. Keine schlechte Idee, wo doch »Schwuchtel« und »schwul« die meistgebrauchten Schimpfwörter auf den Schulhöfen sind, sollte man meinen. Dass dagegen ein paar Auenwäldler Sturm laufen, würde einem ein Gähnen ins Gesicht zaubern, wenn nicht BEIDE Amtskirchen beschlossen hätten, den Aufstand der Dummen mit zu unterstützen. Die katholische (wen wundert`s?) und die evangelische (das ist die, die immer so liberal tut).
Das »Argument« dahinter: Wer über Homosexualität informiert, wirbt irgendwie auch dafür und macht unsere Jugend schwul. Kann man natürlich so sehen, schließlich wollen auch alle Schüler sofort nach Lille ziehen, wenn sie im Erdkundeunterricht hören, dass es ein Land namens Frankreich gibt.
Was das alles mit Sport zu tun hat? Nun, bekanntlich hat sich gerade ein Fußballspieler das Recht herausgenommen, öffentlich zu sagen, dass er lieber mit einem Mann zusammenlebt. Was im Auenland passiert, kommentiert er wie folgt: »Jeder Heranwachsende sollte die Unterstützung erhalten, um sich seiner sexuellen Orientierung gewiss zu werden.«
Recht hat er. Und da es vor allem eine Institution ist, die die Orks im christlichen Nachtland geistig munitioniert, sollte es irgendwann auch der Letzte kapieren, der meint, noch Kirchensteuer zahlen zu müssen. Sie hatten 2000 Jahre Zeit – und sie haben nichts verstanden. Und tschüß....
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/920779.ich-lebe-im-auenland.html