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»Mein Hirn: das Schlachtfeld«
César Aira treibt ein verschmitztes Spiel
Ich stelle mir César Aira als den ersten argentinischen Nobelpreisträger vor», so wird im Klappentext der berühmte Mexikaner Carlos Fuentes zitiert, der ja auch immer mal als Nobelpreiskandidat galt. Da muss es Fuentes gefallen haben, dass er im Roman eine so wichtige Rolle spielt. Während eines Literaturkongresses in Venezuela wird Fuentes von einer «Klonwespe» gestochen, die dem Ich-Erzähler eine leuchtend blaue Zelle mitbringt. - Am Schluss werden blaue Raupen aus den Bergen kommen - in unendlicher Zahl, jede 300 Meter lang. Carlos Fuentes wird gesichtet, wie er mit seiner Frau in einem Mercedes eilends zum Flughafen gebracht wird. Und über der Stadt ballt sich eine unglaubliche Katastrophe zusammen. Ein Glück, dass es sich «bloß» um literarische Wirklichkeit handelt.
Wer César Airas kleinen Roman genießen will, muss sich ganz auf das literarische Spiel einlassen wollen. Dieses Spiel ist total überdreht und dabei so intelligent, dass man, wenn man es Stück für Stück durchschaut, sich dann doch wieder fragt, ob man Lust auf so viel Selbstbezogenheit hat oder nicht. Denn letztlich geht es um die Identität des Schriftstellers, genauer, um die Person von César Aira, 1949 in der Provinz Buenos Aires geboren, als literarischer Schüler von Jorge Luis Borges geltend. Mehrere Bücher von ihm sind ins Deutsche übersetzt, oft, wie hier auch, von Klaus Laabs. Der hat es dabei mit einem Berufskollegen zu tun, denn Aira ist neben seinem schriftstellerischen Schaffen auch Übersetzer.
Auf Seite 92 kann man nachlesen, was er von «blinder Übersetzung» hält. Es gibt kluge Bemerkungen zur Metapher, zur Erfindung und Verwandlung von Wirklichkeit in der Literatur, zu literarischen Abschweifungen, zum «Vampirismus» des Autors, zum Verhältnis von Realem und Irrealem, Original und Kopie. Schließlich hält Aira auch Seminare zur Literatur. Aber hier hat er dazu eine Handlung erfunden, die äußerlich so turbulent ist, dass man gar nicht sofort merkt, worum es geht: um einen Künstler auf der «Flucht nach vorn».
«Der Rückweg ist mir versperrt, also avanti! Bis ans Ende! Rennen, fliegen, rutschen - alle Möglichkeiten ausnutzen und im Schlachtgetümmel Gelassenheit erobern. Das Vehikel ist die Sprache. Was sonst?» Hyperaktiv sei er, sagt sein Alter ego César im Roman - man könnte sich denken, dass er auch vergrübelt ist und die Zurückgezogenheit liebt.
Vom wirklichen Aira heißt es, dass er angesichts kleiner Auflagen ein großer literarischer Geheimtipp sei, dass er selten mit Journalisten spreche, Ehrungen oft zurückweise. Im Roman aber begegnet man einem Mann, der sich als Genie begreift und die «Weltherrschaft» zu erringen trachtet. Er wird reich durch einen Piratenschatz, hievt einen «Klonator» in die Berge. Er steckt voller ungeahnter Erfindungen. So wie es bei einem Schriftsteller ja sein sollte. Ist ein Schriftsteller in seinem Werk denn nicht allmächtig?
Bei der Lektüre wird man sich an Details freuen, zum Beispiel, wie er nachts in der Bergeinsamkeit, mit einem entwendeten Silberlöffel die Klonwespe begräbt. Oder was er tut, als die Riesenraupen kommen. Aber bald wird man merken: Dem eigenen Mitgerissensein steht entgegen, wie César Aira etwas durchdenken will - seine Poetik, seinen Charakter, aus dem diese Art zu schreiben kommt.
Alles ist «Metapher, alles steht für etwas anderes und nimmt dessen Platz ein ... Auch hier wirkt das Heisenberg-Prinzip: Die Beobachtung verändert den beobachteten Gegenstand und erhöht seine Geschwindigkeit. Unter meiner inneren Lupe, oder auch in ihr, nimmt jeder Gedanke in seinem rhetorischen Wandlungsbild die Gestalt eines Klons an, einer überdeterminierten Identität.» Schwierig? Und dann muss man sich auch noch hinzudenken, dass dieser Satz ernst und selbstironisch zugleich gemeint ist.
«Mein Hirn: das Schlachtfeld.» Diesen Roman lesend, zweifelt man nicht: Man hat es wirklich mit einem Genie zu tun.
César Aira: Der Literaturkongress. Roman. Aus dem Spanischen von Klaus Laabs. Ullstein. 108 S., geb., 18 €.
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