Der einstige SPD-Bundestagsabgeordnete soll online bei einer einschlägig bekannten kanadischen Firma 4P5P nachweislich zwischen dem 21. Oktober 2005 und dem 18. Juni 2010 neun Bestellungen von Videos und Fotosets aufgegeben haben. Sieben wurden ihm postalisch zugestellt, zwei hat er per Download über IT-Adressen des Bundestages erhalten.
Die Bilder zeigen »unbekleidete neun bis 13-, vielleicht 14-jährige Jungen« in Alltagsposen, bei denen besonderer Wert »auf den Genitalbereich« gelegt wurde, beschreibt der zuständige Oberstaatsanwalt Jörg Fröhlich aus Hannover.
Die »Ausbeute ist eher mager«, räumt die zuständige Staatsanwaltschaft in Hannover ein. Man habe auf den zwei beschlagnahmten Computern bislang »kaum indiziertes Material entdeckt«. Doch die Ermittler haben aus den Ermittlungen in Kanada eine ganze Mappe mit Material, wollen aber dazu noch nicht mehr sagen.
Die kanadische Polizei informierte erst am 13. November 2013 über den aufgeflogenen internationalen Kinderporno-Ring. Der Erfolg wurde auch in deutschen Medien vermeldet.
Das sei eine »schwierige Wertungsfrage«, sagt die Staatsanwaltschaft. Strafbewehrt seien Darstellungen der Kategorie 1. Bislang hat man aber »nur« solche der Kategorie 2 gefunden. Das heißt, es handelt sich nicht »um eindeutig indizierte Darstellungen«. Sie reichten aber für einen Anfangsverdacht. Die Erfahrung lehre, wer Kategorie 2 hat, ist auch im Besitz von Material, das »nach deutschem Recht die Schwelle zur Strafbarkeit überschreitet«, sagte Fröhlich.
In diesem Fall nicht. Offenbar hat Edathy eigene E-Mail-Adressen verwandt und die Zahlungen sind über dessen Kreditkartenabrechnungen nachweisbar. Der Verdächtige habe dazu eigens Konten eingerichtet.
Anfang Oktober informierte die kanadische Polizei das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) über Erkenntnisse zu einem Kinderporno-Ring. Der Name Edathy taucht neben Dutzenden anderen auf. BKA-Chef Jörg Ziercke informiert den damaligen Staatssekretär im Bundesinnenministerium Klaus-Dieter Schindler (CSU).
Der informiert offenbar den damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Der Minister informierte seinerseits am 14. Oktober den SPD-Chef Sigmar Gabriel, dass gegen den Spitzeninnenpolitiker der SPD, der in der geplanten schwarz-roten Regierung Aussichten auf ein Regierungsamt gehabt hätte, mögliche Ermittlungen anstehen. Gabriel bezog Thomas Oppermann (Ex-Parlamentarischer Geschäftsführer, heute SPD-Fraktionschef) und Frank-Walter Steinmeier (Ex-Fraktionschef, heute Außenminister) ein.
In diesem Fall nicht. Das BKA war nur in seiner Eigenschaft als internationaler Ansprechpartner der deutschen Polizei involviert. Ermittlungen hätten von den jeweils zuständigen örtlichen Staatsanwaltschaften und Landespolizeibehörden erfolgen müssen. Seltsam ist zudem, dass es laut BKA-Chef Ziercke keinen begründeten Anfangsverdacht gegen Edathy gegeben habe. Der Minister war nicht berechtigt, ein ihm - wie auch immer - bekanntgewordenes Dienstgeheimnis weiterzugeben.
Das Thema sei »vertraulich behandelt« worden, betont Oppermann. So vertraulich, dass er die aktuelle parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Christine Lambrecht, informierte. Es kann jedoch auch Edathy, der zudem stets interner Konkurrent Oppermanns (der zu der Zeit als künftiger Innenminister gehandelt wurde) war, nicht entgangenen sein, dass er »kalt«gestellt wurde.
Laut Oppermann habe er mit Ziercke über Edathy gesprochen. Ziercke - SPD-Mitglied - erinnert sich vorsichtiger. Er habe sich die Darstellungen »angehört, aber Herrn Oppermann diese weder bestätigt noch Informationen zum Sachverhalt mitgeteilt«.
Angeblich informiert waren alle 15 Landeskriminalämter. Offenbar zeitgleich mit Minister Friedrich. Außerdem kundig war seit Ende Oktober auch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD). Vermutlich durch den für Edathys Wohnort zuständigen Göttinger Polizeipräsidenten. Der hat den Minister über ein »bundesweites Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Kinderpornografie informiert, in das möglicherweise auch das niedersächsische Bundestagsmitglied Edathy involviert ist«. Pistorius schwört, mit niemandem darüber gesprochen zu haben.
Es gibt angeblich bundesweit 800 vergleichbare Fälle. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main befasst sich damit. Die Akte Edathy war zunächst bei der Generalstaatsanwaltschaft in Celle und ging am 5. November 2013 als Verschlusssache in Hannover ein. Nur der Behördenleiter und ein zuständiger Kollege kannten sie. Man fühlte sich ob der Geheimhaltung nicht unter Zeitdruck.
Er kann theoretisch schon durch die Pressemeldungen Mitte November gewarnt worden sein. Am 28. November 2013 meldete sich Edathys Rechtsanwalt bei der Staatsanwaltschaft in Hannover und bat um ein vertrauliches Gespräch. Es gehe »um irgendetwas mit Kinderpornografie«. Zuvor hatte sich der Rechtsanwalt bereits bei Staatsanwälten in Celle erkundigt. Es gab »unzählige weitere Versuche«, sagt Behördenleiter Fröhlich. Am 22. Januar 2014 kam es dann zu einem Treffen. Der Anwalt erklärte, es handle sich nicht um kinderpornografisches Material. Sein Mandat besitze die Dinge nicht mehr.
Der Beschluss fiel am 28. Januar. Oberstaatsanwalt Fröhlich schrieb tags darauf einen Brief an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) mit der Bitte um Immunitätsaufhebung im Fall des Abgeordneten Edathy. Doch auch ohne sie kann bei bestimmten Tatvorwürfen gegen Abgeordnete ermittelt werden. Das gilt beim Thema Kinderpornografie. Der Brief war ungewöhnlich lange unterwegs. Er ging am 6. Februar im Büro Lammert ein. Inzwischen sind Edathys Bundestagsbüro versiegelt und die Surferdaten gesichert.
Er hatte der Fraktion am 17. Januar bereits seine Krankschreibung gemeldet. Dann das: »Ich habe mich aus gesundheitlichen Gründen dazu entschieden, mein Bundestagsmandat niederzulegen. Über diese Entscheidung habe ich am Freitag, 7. Februar 2014 den Bundestagspräsidenten informiert. Der Mandatsverzicht ist damit wirksam geworden.«
Merkel habe erst durch die Durchsuchungen von dem Verdacht erfahren. Darüber, dass es in Merkels Hofstaat keine Whistleblower geben soll, lacht Berlin. Merkels Sprecher Steffen Seibert trug gestern vor, die Kanzlerin habe am Freitag telefonisch »ein intensives Gespräch« mit Minister Friedrich geführt. Der habe ihr bestätigt, dass er über Ermittlungen in Zusammenhang mit Edathy »kein Mitglied der damaligen Bundesregierung« informiert habe. Der Regierungssprecher betonte: »Die rechtliche Bewertung ist Aufgabe der Behörden.« Das klang so, als habe mal wieder einer aus Merkels Gefolge das »volle Vertrauen« der Chefin. Es fehlte nur noch das Versprechen von CSU-Chef Horst Seehofer, nicht zu bocken. Und schon war Friedrich Landwirtschaftsminister a.D.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/924161.kennt-die-kanzlerin-keine-whistleblower.html