nd-aktuell.de / 10.04.2014 / Politik

»Sicherere Grenzen sind zu begrüßen«

Von wegen: Teil 5 der nd-Serie über Mythen der europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik

Deutschland will sich bis heute nicht von dem Dogma lösen, es sei »kein Einwanderungsland«. Asylsuchende sind hier deshalb einer ganzen Reihe diskriminierender Gesetze unterworfen. Und auch auf europäischer Ebene gehört Deutschland in Sachen Asyl zu den Hardlinern. In einer Serie in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung soll der grundlegende Widerspruch der europäischen Asylpolitik ins Licht gerückt werden: Die EU lässt sich als »Raum des Schutzes und der Solidarität« feiern, der den Opfern von Kriegen und Verfolgung Zuflucht bietet. Doch gleichzeitig tut sie alles, um zu verhindern, dass Menschen, die diesen Schutz nötig haben, ihr Recht auf Asyl in Anspruch nehmen können.

»Jede Möglichkeit, die Grenze sicherer zu machen, muss man begrüßen.« (Der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am 8. März 2012)

Was ist dran?

Grenzen werden bewacht, überall auf der Welt. Sonst wären sie überflüssig. Doch was die EU tut, um unerwünschte MigrantInnen fernzuhalten, hat mit der landläufigen Vorstellung von Grenzschutz nicht mehr viel zu tun.

Wer heute nicht losgeht, muss morgen nicht abgeschoben werden

Die Sicherung der EU-Grenzen geht weit über das EU-Territorium hinaus. Waren es zu Beginn der EU-Integration noch die Außengrenzen selbst, an denen die Grenzpolizei im Einsatz war, geht die EU heute immer mehr dazu über, die Transitregionen ins Visier zu nehmen. Angestrebt wird, unerwünschte Migrationsbewegungen schon in den subsaharischen Herkunftsregionen stoppen zu können. Staaten, tief in der Sahara oder im Mittleren Osten, werden mittlerweile als Kooperationspartner von Frontex in das Migrationsmanagement eingebunden.

Während das Schengen-Gebiet in einen Raum grenzenloser Freizügigkeit verwandelt werden soll, sorgt die EU vor allem in Afrika dafür, dass Bewegungsfreiheit beschnitten wird. Erkauft mit Entwicklungshilfe macht sie ihre nahen und fernen Nachbarn zu Hilfspolizisten: Internierungslager in afrikanischen Ländern, PR-Agenturen, die Reklame gegen Auswanderung machen, fälschungssichere Pässe oder Militärhilfe sind eine Art verlängerter Arm des EU-Grenzschutzes weit vor den Toren Europas. Jeder Flüchtling, der gar nicht erst losgeht, muss später nicht teuer wieder abgeschoben werden – das ist dabei das Kalkül.

An der Grenze zur Folter

Wer Europa trotzdem zu nahe kommt, der muss damit rechnen, aufgehalten zu werden. Obwohl dies bislang mit geltendem europäischen Recht unvereinbar war, hindern die GrenzschützerInnen Flüchtlingsboote immer wieder daran, in europäische Gewässer zu fahren, drängen sie ab oder schleppen sie zurück.

90 syrische Flüchtlinge in der Türkei etwa erklärten 2013 unabhängig voneinander RechercheurInnen von Pro Asyl, von Spezialeinheiten der griechischen Küstenwache aufgehalten und misshandelt worden zu sein, bevor sie zurückgeschleppt wurden. Teils »grenzten die Misshandlungen von neun männlichen syrischen Flüchtlingen an Folter«, heißt es in dem Bericht.16 Kinder, Babys und Schwerstkranke seien ebenso betroffen wie Angehörige aus Kriegs- und Krisenregionen.

So berichtet ein 20-jähriger Syrer, der am 23. August 2013 vor der Insel Samos aufgegriffen wurde, von der Begegnung mit dem griechischen Grenzschutz: »Sie trugen schwarze Uniformen und Masken, wir konnten nur die Augen sehen. Sie schossen drei-, viermal in die Luft und kamen dann an Bord. Wir hielten unsere Hände hoch, sie zogen die Frauen am Haar, was sie sagten, konnten wir nicht verstehen. Sie zwangen uns niederzuknien und die Hände hinter den Nacken zu halten. Sie nahmen unser Geld, warfen unsere Handys und Koffer ins Meer.«17 Das Boot sei zunächst in türkische Gewässer zurückgeschleppt und dann sei der Motor zerstört worden. Fast alle der dokumentierten Zurückschiebungen fanden im Operationsgebiet der Frontex-Mission »Poseidon Land and Sea« statt.

Auf Hoher See gilt die Freiheit des Meeres – es sei denn, man ist ein FlüchtlingSolche direkten Zurückweisungen ohne Prüfung eines Asylantrags sind ein Verstoß gegen das sogenannte Non-Refoulement-Gebot im Völker- und EU-Recht. Künftig aber darf Frontex Flüchtlingsboote auf See ausdrücklich direkt zurückweisen. Die im neuen EU-Recht vorgesehene Prüfung, ob ein Flüchtling womöglich Anspruch auf Asyl hat, soll direkt an Bord stattfinden. Damit ist vollständig in das Ermessen der GrenzschützerInnen gestellt, wer noch in der EU Asyl beantragen kann. Frontex kann Boote sogar in internationalen Gewässern stoppen, durchsuchen und zurückschleppen, um »illegale Grenzübertritte « zu verhindern. Dabei ist es ein wesentlicher Bestandteil internationalen Rechts, dass Grenzschützer oder Marine nicht die Befugnis haben, auf Hoher See Schiffe zu kontrollieren, zu behindern oder abzudrängen. Diesen Eingriff in die Navigationsfreiheit von Schiffen rechtfertigt die EU mit Verweis auf das sogenannte Palermo-Protokoll – einen internationalen Vertrag, der eigentlich zur Eindämmung von Menschenschmuggel geschlossen wurde.

Die Broschüre[1] »Flüchtlinge Willkommen - Refugees Welcome?« hat Christian Jakob verfasst, sie bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung[2] ist in der Reihe »luxemburg argumente« erschienen.

Links:

  1. http://www.rosalux.de/publication/40329/fluechtlinge-willkommen-refugees-welcome.html
  2. http://www.rosalux.de/