Der 1. Juli 2014 war gewiss kein normales Datum im Kalender der Europäischen Jugenderholungs- und Begegnungsstätte (EJB) am Rande der Schorfheide. Schon am frühen Morgen hallte das Kreischen von Motorsägen und Steinfräsen über den weiten Werbellinsee. Der Lärm ist auch an der beschaulichen Uferpromenade im Nachbarort Altenhof (Barnim) nicht zu überhören. »Das geht schon seit Tagen so«, sagen die ersten Kaffee-Gäste beim Imbiss an der leeren Badewiese. »Die haben dort auch am Wochenende durchgearbeitet.«
Oberflächlich betrachtet, herrscht auf dem Gelände des Jugenddorfs Alltag. Am Rande des Strandbades haben sich die ersten Projektgruppen versammelt, um das Vormittagsprogramm zu besprechen. Ein paar Spieler testen die Beachvolleyball-Anlage und einige ganz Mutige springen in das glasklare Wasser. Zwischen den denkmalgeschützten Unterkunftsgebäuden der einst im Stil der ausgehenden Stalin-Ära erbauten ehemaligen Pionierrepublik wimmelt es geschäftig. Gerade machen sich die rund 600 Teilnehmer am »Youth for Understanding«-Camp zur Abreise bereit. Wie jedes Jahr hatten sich Austauschschüler aus verschiedenen europäischen Ländern nach einem erlebnisreichen Jahr für fünf Tage zum Fachsimpeln, Netzwerken und Feiern am Werbellinsee eingefunden. Es herrschte eine Mischung aus Müdigkeit, Spaß und Abschiedsschmerz.
Doch in der Rezeption ist die Stimmung angespannt, in der Geschäftsführung des EJB Werbellinsee findet sich kein Ansprechpartner. Denn hier ist gar nichts mehr alltäglich, seit eine Woche zuvor ein Schüler der Europaschule aus Ketzin (Havelland) beim Schulausflug auf dem Gelände tödlich verunglückt ist. Es war ein Unfall. Und so mischt sich in die Trauer um den Zwölfjährigen die Sorge um die Sicherheit der mehrere Hundert Gäste und Besucher, die sich in diesen Tagen in der Einrichtung aufhalten. Bei einer ersten Sondierung hatten Vertreter der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) zahlreiche Sicherheitsmängel festgestellt. Die BGN als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung der Einrichtung hatte daraufhin die sofortige Schließung des Jugenddorfes angeordnet. Gemeinsam mit der Unfallkasse Brandenburg, der Versicherung des toten Schülers, hatte man jedoch einen »Sofortmaßnahmeplan« zur umgehenden Beseitigung der gröbsten Sicherheitsmängel erstellt und die Schließung bis zum 1. Juli ausgesetzt.
Es war der Druck dieses »Ultimatums«, der an diesem Tag überall zu spüren war. Und der jene hektische Betriebsamkeit ausgelöst hatte: Zahlreiche Wege wurden trassiert, an den gesperrten Treppenabgängen zum Strandbad wurde fieberhaft gearbeitet, überall waren Baufahrzeuge unterwegs. Kräfte des Landkreises Barnim sowie des Technischen Hilfswerkes unterstützten die EJB-Mitarbeiter. In all dem Trubel erfolgte die Begehung der Anlage durch die Experten von Berufsgenossenschaft und Unfallkasse, die sich einen Eindruck von der Umsetzung der Vorgaben verschafften. Ihre Einschätzung ließ die Verantwortlichen aufatmen: »Es sieht gut aus«, signalisierte die Berufsgenossenschaft am Abend.
»Die gravierendsten Mängel wurden abgestellt, noch vorhandene Gefahrenbereiche sind gesperrt. Von einer Stilllegung der EJB Werbellinsee können wir absehen«, sagte BGN-Sprecher Michael Wanhoff dem »nd« am Mittwoch. Das bedeutet, dass zunächst die baufälligen Treppen zum Strand zu sperren und zu sanieren waren und bisher offene Brunnenschächte zu verschließen waren. Auch die Baumarbeiten waren gemeint. Gemeinsam habe man für die kommende Zeit einen insgesamt 70 Punkte umfassenden Maßnahmeplan erarbeitet, so Wanhoff. »Wichtig ist, dass die Gefahr für Gäste, Besucher und Mitarbeiter minimiert wird.«
Der Unfalltod des Schülers hat auch ein juristisches Nachspiel. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) ermittelt gegen den EJB-Betreiber wegen fahrlässiger Tötung. »Wir prüfen, ob eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorliegt«, zitiert die dpa einen Sprecher der Staatsanwaltschaft. Der bauliche Zustand der Treppe, an der der Junge vor gut einer Woche gestürzt und gestorben sei, deute auf eine Pflichtverletzung hin. In einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung drückt EJB-Geschäftsführer Reinhard Meier seine Erschütterung und die seiner Mitarbeiter über den Tod des Jungen aus und äußert sein Beileid gegenüber den Angehörigen. »Mir ist es wichtig, dass die Umstände des Unfalltodes lückenlos aufgeklärt werden«, betont er. Und er fügt hinzu: »Ebenso ist es mir wichtig, dass Schaden von der EJB am Werbellinsee, als wichtigem Eckpfeiler des Tourismus im Barnim und im Land Brandenburg, abgewendet wird.«
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/937915.drohende-schliessung-abgewendet.html