Freaks, Krüppel und Normalgestörte
Am Samstag demonstrierten rund 3000 Menschen bei der Pride Parade
»Freaks, Krüppel und Normalgestörte, kommt raus auf die Straße!« So schallte es am Samstagnachmittag aus den Lautsprechern zwischen Hermannplatz und Oranienplatz. Pride Parade heißt die Veranstaltung und der Name ist Programm. Nicht verschämt in den eigenen vier Wänden, sondern stolz, fein oder auch verrückt zurechtgemacht, protestierten und feierten rund 3000 Behinderte und Nichtbehinderte. Viele in Rollstühlen, teilweise mit Beatmungsgeräten, eine Gruppe Taubstumme unterhält sich mit ausladenden Bewegungen, selbst demonstrationsgewöhnte Passanten am Kottbusser Damm schauen interessiert.
Vera Rebl kennt diese Blicke. Sie kennt die Unsicherheit Anderer, wenn sie jemandem im Rollstuhl begegnen. Sie weiß, dass selbst wenn Platz im Fahrstuhl ist, viele nicht einsteigen, wenn sie sich im Rollstuhl darin befindet. Leute, die erschreckt ihre Kinder zurückziehen, wenn sie kommt. Aber Vera Rebl kennt auch die Distanzlosigkeit, die Menschen plötzlich befällt, wenn man doch mal in Kontakt kommt. »Yes, we fuck!« hat sie auf ein Plakat an der Rückseite Ihres Rollstuhls geschrieben. Rebl: »Ja, das wurde ich schon wirklich von fremden Leuten gefragt. Viele stellen irgendwie immer gleich so intime Fragen. Oft muss ich aus heiterem Himmel über mein ganzes Leben Auskunft geben. Viele können auch einfach nicht glauben, dass man Spaß haben kann, wenn man im Rollstuhl sitzt.«
Sorgen macht Vera Rebl die moderne Schwangerschaftsdiagnostik. Werdenden Müttern werde quasi eingeredet, dass es zum Beispiel besser wäre, ein Kind mit Trisomie 21 abzutreiben, als zu gebären. Ihrer eigenen Mutter habe der Arzt nach ihrer Geburt gesagt, sie solle Vera doch staatlicher Obhut übergeben, sich nicht mehr drum kümmern und einfach ein anderes - gesundes - Kind bekommen. So was prägt.
Vera Rebl ist mit ihrer Tanzgruppe aus Wien nach Berlin gekommen. Behinderte und Nichtbehinderte tanzen zusammen. »A.D.A.M. Danceability« heißt der Verein. In Wien wollen wir durch regelmäßige Tanzevents erreichen, dass die dortige Invalidenstraße umbenannt wird. Berlin, wo es eine solche Straße auch gibt, findet sie aber überwältigend, vor allem sei es toll, dass so viele unterschiedliche Menschen zu der Parade gekommen seien. Aus dem Lautsprecher des Lautis ruft eine Frauenstimme: »Wir warten nicht ab, dass unsere Körper endlich als begehrenswert bewertet werden. Wir zeigen, wie schön wir sind. Wir warten nicht ab, bis unser Verhalten nicht mehr als abseitig und verstörend angesehen wird. Wir sind einfach da und bringen uns ein, so wie wir sind.« Normalität, das ist den Teilnehmern hier wohl das wichtigste Wort. Ein Zustand, der für viele aber erst erkämpft werden muss.
Für Nina Hintz gehören auch bestimmte medizinische Behandlungen dazu, die ihr gut tun würden. Auch Hintz sitzt im Rollstuhl, ihr Betreuer Stefan Müller reicht ihr in regelmäßigen Abständen eine Zigarette, die sie nicht selber zum Mund führen könnte. Auf ihrem T-Shirt steht: »Ey, bist du nichtbehindert oder was?« Hintz sagt, sie habe oft Migräne. »Da würden Massagen schon sehr helfen, aber die bekomme ich nicht.« Schlimm sei auch, dass man nichts sparen dürfe und quasi immer auf Hartz-IV-Satz gehalten würde. Da jeglicher eigener Verdienst sofort für die Bezahlung des Betreuers verwendet werden müsste.
Trotz nach wie vor vieler Probleme, sei sie aber beeindruckt von der Pride Parade, der Stimmung hier und den vielen Menschen. Sie kneift die Augen zusammen und lacht. Jetzt freue sie sich auf das Konzert und die Abschlussveranstaltung im Südblock.
»Blind and Lame« kommen auf die Bühne. Die Mutter blind, die Tochter lahm. Sie singt Country-Folk mit klarer Stimme. Die Mutter spielt Gitarre. Eine Gebärdenübersetzerin übersetzt mit rhythmisch-fliesenden Bewegungen den Gesang in eine für Stumme verständliche Sprache. So kann der Abend für alle noch lang werden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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