In Italien zeichnet der letzte Armutsbericht ein erschreckendes Bild: Rund sechs Millionen Menschen, das sind fast zehn Prozent der Bevölkerung, leben demnach in »absoluter Armut«. Das sind 1,2 Millionen mehr als noch im Jahr 2012. »Absolute Armut« heißt, dass die betroffenen Personen nicht genügend Geld haben, um »Güter und Dienstleistungen für ein Leben in Würde« zu kaufen. Das statistische Amt ISTAT, das die Erhebungen durchgeführt hat, hat genaue Vorstellungen davon, was das bedeutet. Eine alleinstehende, ältere Person, die in einer Kleinstadt im Süden des Landes lebt, braucht demzufolge mindestens 520 Euro monatlich für ein »Leben in Würde«; ein Paar mit einem Kleinkind muss über 1160 Euro verfügen, eine Familie mit drei oder vier Kindern über mindestens 1800 Euro.
Das Geld soll reichen, um pro Person täglich 1700 Kalorien zu sich zu nehmen, vier Personen müssen über mindestens 56 Quadratmeter Wohnraum verfügen, zudem genügend Mittel für Strom- und Telefonrechnungen, Heizung, Kleidung, Transportmittel, Arztbesuche und Medikamente besitzen. Andernfalls spricht man von »absoluter Armut«. Betroffen sind in erster Linie Paare mit drei oder mehr Kindern, aber auch alte Menschen. Arbeitslosen geht es schlechter als Menschen mit Job. Insgesamt leben 1,43 Millionen Kinder in Armut.
Diese Statistiken bestätigen nur das, was auch die katholische Caritas im Land wiederholt unterstreicht. Die Hilfsorganisation betreut immer häufiger Familien mit mindestens zwei Kindern, aber auch junge Menschen unter 35 Jahren, die keine oder nur prekäre Arbeitsverhältnisse haben. Deshalb fordern die italienischen Bischöfe jetzt auch eine Grundsicherung für alle, damit jeder am sozialen Leben teilhaben kann.
Relativ nimmt die Armut vor allem in Mittel- und Norditalien zu. Aber am dramatischsten ist die Lage im Süden des Landes: Hier leben weniger als ein Drittel der italienischen Bevölkerung, aber die Hälfte der Armen des Landes, von denen wiederum 50 Prozent Kinder und Jugendliche sind. Der Anteil der Armen stieg im vergangenen Jahr von knapp zehn auf über 12,6 Prozent der süditalienischen Bevölkerung. Zusätzliche 26 Prozent liegen nur knapp über der Armutsgrenze.
Nach Regionen aufgeschlüsselt haben Sizilien und Kalabrien, gefolgt von Sardinien, Kampanien und Apulien die traurigen Spitzenplätze inne. Am wenigstens Armut gibt es in Südtirol, Emilia Romagna und der Toskana.
Dass die Krise vor allem die Schwächsten der Gesellschaft, also die Kinder trifft, wird auch durch eine Studie des Bauernverbandes Coldiretti belegt. Hier geht man davon aus, dass im letzten Jahr 429 000 Kinder unter fünf Jahren beziehungsweise ihre Eltern auf Unterstützung durch den Staat oder Wohltätigkeitsverbände angewiesen waren, um Milch und Lebensmittel zu kaufen.
All diese Zahlen sind erschreckend. Aber noch erschreckender ist, dass Regierung und Politik nicht reagieren. Bisher äußerten sich nur verschiedene soziale Organisationen. So schreibt die Anti-Mafia-Bewegung Libera: »Der Armutsbericht zeigt, dass Italien nicht nur krank, sondern schwer krank ist. Krank ist die Politik, die allen Menschen ein freies und würdevolles Leben garantieren müsste.« Die Verbraucherorganisation Codacons sagt: »Die Armutszahlen machen aus Italien ein Land der Dritten Welt und sind beschämend.« Das Schlimmste sei, sagt der Vorsitzende des Verbandes, Carlo Renzi, dass »die Lage 2014 vor allem im Süden des Landes nicht besser werden wird«. Er fordert von der Regierung Maßnahmen gegen die Armut und vor allem eine stärkere Steuerbelastung für das Bevölkerungszehntel, das über die Hälfte des Reichtums verfüge. Dann könnten zehn Millionen Italiener »endlich wieder in Würde leben«.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/939409.zu-arm-fuer-ein-leben-in-wuerde.html