nd-aktuell.de / 05.09.2014 / Kultur / Seite 16

Fälscherarbeit

LESEPROBE

Mit manchen Folgen und Wirkungen des Zweiten Weltkrieges hat sich, wenn auch nicht in allen Staaten gleichermaßen, noch die inzwischen dritte Generation der Nachgeborenen vor allem in Europa und Asien auseinanderzusetzen. Nicht nur, dass dort, wo einst Kämpfe stattfanden, immer wieder materielle Trümmer des Krieges aufgefunden und beseitigt werden müssen, wie in deutschen Städten so genannte Blindgänger, Fliegerbomben, die nicht explodiert waren. An letzte überlebende Opfer werden Entschädigungen gezahlt, so an in Israel lebende, den faschistischen Mördern entkommene Juden. Andere hingegen, so Opfern von Kriegsverbrechen in Griechenland und Italien, werden derlei Zahlungen von der Bundesrepublik hartnäckig verweigert. Vielerorts entdecken Lokalforscher vergessene Stätten der terroristischen Faschistenherrschaft wieder. Auf verschiedene Weise wird an ermordete Antifaschisten und Hitlergegner aller politischen und weltanschaulichen Couleur, an Leiden von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern erinnert ...

In Ämtern, Institutionen, Unternehmen verschiedensten Charakters und Vereinen aller Art bevorzugen Angehörige der zweiten und dritten Nachkriegsgeneration der Deutschen einen veränderten Umgang mit der Vergangenheit ... Derartige Arbeit wäre vor wenigen Jahrzehnten als Nestbeschmutzung diffamiert worden ... Jede dieser Arbeiten besitzt ihren Wert ... Zugleich werden diese Schriften der Propaganda dienstbar gemacht, wonach »Wir« nichts zu verbergen haben und Weltmeister in der »Bewältigung« unserer Vergangenheit sind.

Nun kann diese beschreibende Literatur die Analyse der Herkunft und des Charakters des Faschismus und des imperialistischen Eroberungskrieges nicht ersetzen. Auf diesen Feldern leben alte Missdeutungen fort und mache, die als ausgestorben galten, wurden neu belebt. Das vollzieht sich in mehreren europäischen Ländern im Zeichen eines um geschichtliche Tatsachen unbekümmerten, verbissene reanimierten Antikommunismus. Seine Verfechter schreiben der Sowjetunion einen erheblichen Teil der Schuld am Zweiten Weltkrieg zu, sie teilen diese gleichsam zwischen Hitler und Stalin. Die Fälscherarbeit blüht momentan in Staaten des Baltikums, in der Ukraine und in Ungarn und gipfelt in der Glorifizierung von Kollaborateuren des deutschen Faschismus, die an seiner Seite die Sowjetunion bekriegten. Ihren werden dort selbst Denkmäler errichtet, während die der Befreier und Antifaschisten zum Abriss freigegeben und geschleift werden.

Aus Kurt Pätzold »Zweiter Weltkrieg«[1] (PapyRossa, 143 S., br., 9,90 €).

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