DGB im Rentenalter

Sammelband über 65 Jahre Gewerkschaftsbund

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Was ist der Deutsche Gewerkschaftsbund 65 Jahre nach seiner Gründung? Wie haben sich die Mitgliedsgewerkschaften nach dem drastischen Mitgliederschwund der letzten 20 Jahre verändert? 1991 hatten die 17 DGB-Gewerkschaften 11,8 Millionen Mitglieder, 20 Jahre später sind es nur noch 6,1 Millionen. Wie sieht ihr Dachverband, ihr politisches Sprachrohr seine Aufgabe heute? Diesen Fragen gehen in dem von Burkhard Jacob herausgegebenen Sammelband »DGB heute. Ordnungsfaktor, Gegenmacht, Auslaufmodell?« WissenschaftlerInnen und GewerkschafterInnen in zehn Aufsätzen nach. Sie versuchen sich an einer Analyse der Geschichte der deutschen Gewerkschaften und erörtern, ob diese den Aufgaben gewachsen sind, die ihnen die krisenhafte wirtschaftliche Entwicklung und die neoliberale Politik objektiv stellen. Zentral ist die Frage, inwieweit es gelingen muss, in Zeiten von sinkendem Organisierungsgrad, der Erosion des sogenannten Normalarbeitsverhältnisses und der Tarifbindung auf der einen Seite und der zunehmenden Prekarisierung in der Arbeitswelt auf der anderen wieder mehr Gegenmacht, mehr Bewegung zu werden.

Der Band bietet einen spannenden Überblick der Geschichte der Gewerkschaftsbewegung, nicht nur in der DDR und der Bundesrepublik. Beispielsweise die Aufsätze von Gisela Losseff-Tillmanns und Vera Morgenstern beschreiben - sich gut ergänzend - die Geschichte der gewerkschaftlichen Organisierung von Frauen seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1990, um den nach wie vor männerdominierten DGB für Frauen attraktiver zu machen.

Den Band durchzieht, neben den historischen Begründungen des Prinzips »Einheitsgewerkschaft« als Lehre aus dem Versagen gegenüber der aufkommenden Naziherrschaft, eine kritische Sicht auf die Entwicklung des DGB in den letzten Jahrzehnten - weg von den klassenkämpferischen Auseinandersetzungen in den 1950er und 60er Jahren hin zu einer sozialpartnerschaftlichen Ausrichtung, durch die die Gewerkschaftsbewegung nach Ansicht zahlreicher Kollegen ihre Kraft als Gegenmacht eingebüßt hat. So kommt der Soziologe Arno Klönne zu dem Schluss: »Zukunft hat sie [die Gewerkschaft] nur als in sich demokratischer und gegenüber Kapital und Staat konfliktfähiger, stets lernwilliger Verband.« Aufsätze zur Betriebsverfassung und den Aufgaben von Betriebsräten, zu einer notwendigen neuen Dienstleistungspolitik und auch zum Handeln der Gewerkschaften gegenüber lohnabhängig Beschäftigten ohne deutschen Pass runden den Band ab.

Der Sammelband erschien erstmals vor einem Jahr, nun kommt die zweite Auflage heraus. Dazwischen liegen eine Bundestagswahl, die Verabschiedung des gesetzlichen Mindestlohnes, der umstrittene Gesetzentwurf zur Tarifeinheit und der Wechsel an der Spitze des DGB von Michael Sommer zu Reiner Hoffmann. Auch wenn sich die Diskussionen um die Ausrichtung der Gewerkschaften seitdem weiter entwickelt haben, bleiben die behandelten Themen aktuell.

Nächsten Donnerstag diskutiert Herausgeber und Autor Burkhard Jacob in Berlin (19 Uhr, Helle Panke, Kopenhagener Str. 9) gemeinsam mit Fanny Zeise, Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerkschaft der Berliner Linkspartei, über eine progressive und erneuerte Gewerkschaftspolitik.

Burkhard Jacob (Hg.): DGB heute. Ordnungsfaktor, Gegenmacht, Auslaufmodell? Pahl-Rugenstein, 192 S., 19,90 €

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.