Woher Tahir Della kommt, merkt man nun wirklich, sobald er den Mund aufmacht. Das charakteristisch rollende »R« und eine gewisse Breitheit in der Intonierung sind nicht zu überhören: Der Mann ist unverkennbar aus Bayern. Da er aber nicht Franz-Josef heißt und auch nicht ganz so aussieht wie der Durchschnitts-Xaver, kennt auch er die Frage gut, wo er denn nun »eigentlich« her sei?
Um diese Standardsituation, von der das Vorstandsmitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) am Montag berichtet, drehte sich eine Konferenz von rund 80 »Neuen Deutschen Organisationen«, die sich am Wochenende unter dem Motto »Deutschland neu Denken« und »Auch wir sind das Volk« in Berlin versammelten. Die Frage nach der »eigentlichen« Herkunft signalisiert, dass sich die Bundesrepublik, wie es in einem Thesenpapier heißt, aus ökonomischen Gründen als »Einwanderungsland« verstehe, nicht aber als »Einwanderungsgesellschaft« - eine Gesellschaft, in der das Eingewandertsein kein großes Thema mehr ist.
Ein solches Selbstverständnis tragen viele der in Berlin versammelten Gruppen im Namen: Auch wenn sich unter diesen »NDO« Bezeichnungen mit »deutsch-türkisch«, »muslimisch« oder »Migration« finden, haben viele Namen gewählt, die nicht auf »Herkunft« abstellen. Bei »Deutscher Soldat e. V.« handelt es sich etwa um eine Vereinigung derjenigen, die gerade nicht dem landläufigen Bild eines Bundeswehrangehörigen entsprechen - der Verein entstand 2010 zur Sarrazin-Debatte. »Göthe Protokoll«, »Deutsch Plus« oder »Typisch deutsch e. V.« heißen andere Gruppierungen, die sich an dem Kongress beteiligten und häufig aus Mitgliedern der zweiten und dritten Generation nach der Einwanderung bestehen.
Dieser offensive Gebrauch von »deutsch« soll, wie Ferda Ataman vom Verein »Neue Deutsche Medienmacher« erklärte, einen Anspruch auf Teilhabe und Mitsprache signalisieren. Eine »Integrationspolitik, die sich nur auf Migranten richtet«, kritisieren die Gruppen in ihrem Papier dagegen; sie müsse sich zugleich »gegen Diskriminierung und Rassismus« wenden und auch die Mehrheitsbevölkerung ansprechen.
Konkret fordert die Resolution eine Bildungsreform, die »die Geschichte des Einwanderungslandes Deutschland« und die »Alltagsprobleme des Zusammenlebens« stärker berücksichtige sowie mehr »Aufklärung über unsere verfassungsmäßigen Grundrechte wie etwa die Religionsfreiheit«. Engagement gegen antisemitische, antimuslimische, frauenfeindliche und homophobe Einstellungen müsse stärker gefördert werden - »uns natürlich eingeschlossen«. Nicht zuletzt müsse »eine Diskussion über Quoten« geführt werden, solange »der Anteil von Neuen Deutschen« in Entscheidungspositionen »deutlich unter ihrem Anteil in der Bevölkerung liegt«.
Dafür wollen die »NDO« weiterarbeiten, auch für ein Einwanderungsgesetz. Ein zweiter Kongress und eine dauerhafte Kooperation sind geplant. Was aber meint die Mehrheit, wenn, wie jüngst aus dem Mund des Bundespräsidenten, von einem »neuen deutschen Wir« die Rede ist? In diesem Sinn Teilhabe oder Integration als »Bringschuld«, Anerkennung von Rechten oder nur »Toleranz«? Della erinnerte an Polizeikontrollen nach Hautfarbe; gerade die vergangenen Wochen zeigen, dass der Weg zu einer Selbstverständlichkeit der Neudeutschen weit ist: Nicht nur in jener Talkshow mit der Pegida-Frontfrau wurde wieder über sie statt mit ihnen diskutiert.
Dabei macht die Geschichte auch Hoffnung: Kaum jemand kommt noch auf die Idee, die Träger von im 19. Jahrhundert massenhaft an Rhein und Ruhr migrierten Namen wie Nowak, Schimanski, Borowka oder Borowski nicht für deutsch zu halten. Man müsste nur das überwinden, was zwischen dieser Zeit und heute liegt.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/961299.neudeutsch-in-pegida-land.html