Gentrifizierung war lange ein Reizwort. Wer es benutzte, outete sich als linksradikal. Der Kampf um das Recht auf Stadt ist seit Jahren wichtiger Nexus linker Bewegungspolitik. Dass es so etwas wie Aufwertung und Verdrängung im urbanen Raum überhaupt gibt, wurde aber regelmäßig in Abrede gestellt. Mittlerweile vermeldet sogar die kaum als linksradikal verdächtige Bertelsmann-Stiftung, dass es signifikante Verdrängungsprozesse in deutschen Städten gibt. Dennoch ist Gentrifizierung im strengen Sinn nicht messbar. Während das Feuilleton gerne die Kulturschaffenden als Pioniere der Aufwertung sieht, macht der bekannte Stadtsoziologe Andrej Holm darin vor allem eine immobilienwirtschaftliche Entwicklung aus. Holm bemängelt zugleich eine inflationäre und undifferenzierte Verwendung des Begriffs.
Geht es nur um höhere Mieten, schickere Eingangstüren, eine andere Dichte an Ateliers oder Chai-Latte trinkende Hipster mit Sonnenbrillen und amerikanischem Ostküstenakzent? Wo die überfällige Instandsetzung eines Kiezes aufhört und die Gentrifizierung beginnt, kann keiner genau sagen. Während einige mit vulgär-antikapitalistischer Militanz Autos abfackeln, Randale-Kids bei teuren Bauprojekten Scheiben einschmeißen und die Immobilienwirtschaft zur Verzweiflung bringen, suchen andere den breiten Schulterschluss im Protest auf der Straße mit Betroffenen und politischen Aktivisten. Solange Finanzmarkt und Zinsgeschäft krisenbedingt wenig Rendite bringen, boomt Betongold weiter und über kurz oder lang wird jeder Kiez gentrifiziert. schmi
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/962147.folge-gentri-fizierung-subst-engl.html