Wenn derzeit von Vorschlägen der Regierung in Griechenland die Rede ist, dann bewegen sich die deutschen Reaktionen meist in einem engen Korridor, in dem es offenbar nicht erlaubt ist, sich Ideen aus Athen unvoreingenommen zu nähern. Meist hören wir stattdessen, die SYRIZA-Leute hätten entweder keinen Plan, legten ihre Vorschläge zu spät vor, außerdem seien sie unzureichend, nicht vollständig oder überhaupt Quark.
Dass sich dabei eine Partei hervortut, deren Weltanschauung in der praktischen Idee gipfelt, von Nicht-Bundesbürgern Geld für das Befahren von deutschen Straßen abzukassieren, mag man als Ironie der europäischen Krisenpolitik ansehen. Angesichts der Dringlichkeit eines Kurswechsels, angesichts der sozialen Notlage Abertausender nicht nur in Griechenland, angesichts der Offenkundigkeit des Scheiterns des bisher verfolgten neoliberalen Austeritätskurses ist das freilich alles andere als komisch.
Als der griechische Finanzminister jetzt eine Liste mit sieben Vorschlägen unterbreitet hat, die auf kurzfristig umsetzbare Reformen zur Verbesserung der Haushaltslage und der sozialen Situation hinauslaufen, und Yanis Varoufakis dies mit dem Plädoyer nach einem New Deal, also einer grundlegenden Änderung der Krisenpolitik in Europa verband, kofferte der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer Richtung Athen, dort solle man nicht »das Maul aufreißen und neue Forderungen stellen«.
Das klingt nicht bescheiden, vor allem, wenn man weiß, wie groß der reale Beitrag der bayerischen Landesregierung zur Lösung der gesellschaftspolitischen Problem ist. Bescheiden ist freilich auch der »bescheidene Vorschlag zur Lösung der Eurokrise« nicht, den Varoufakis gemeinsam mit den Ökonomen Stuart Holland und James K. Galbraith vorgelegt hat, keineswegs. Zum Glück.
Das geht schon mit dem Titel los, eine Anlehnung an Jonathan Swifts sozialkritische Satire von 1792. Darin werden die Diskussionen über die Bekämpfung der Armut mit untauglichsten Mitteln in dem bitterbösen »bescheidenen Vorschlag« karikiert, irische Kinder zu Nahrung zu verarbeiten: »ob geschmort, gebraten, gebacken oder gekocht«.
Vor allem aber ist der Vorschlag der drei Ökonomen unbescheiden, weil er auf nichts Geringeres als eine grundlegende Änderung der Krisenpolitik in Europa zielt – und dabei auf eine Art realpolitisch ist, die allen Claqueuren des »There is no Alternative« wie eine Ohrfeige vorkommen muss. Eigentlich sind es vier Vorschläge, erstmals wurden sie von Varoufakis und Holland 2010 formuliert und nach dem Hinzustoßen von Galbraith 2013 überarbeitet[1] – nun sind sie auf Deutsch erschienen.
Das Ruder des europäischen Krisenkahns publizistisch auf nur 63 Seiten inklusive Fußnoten herumzureißen – das ist natürlich unbescheiden. Aber es ist ja dringend nötig. Man kann sich nun also selbst ein Bild davon machen, was Varoufakis und andere als einen neuen New Deal vorschlagen:
Erstens plädieren die drei für eine Strategie gegen die Bankenkrise, bei der die Europäische Zentralbank in Schieflage geratene Banken rekapitalisiert, dafür Anteile an den Banken erhält, welche bei erfolgreicher Sanierung wieder verkauf werden können, um die Kosten zu decken. Eine zweite Strategie zielt darauf ab, dass die EZB die Staatsanleihen aller Euroländer bei jeweiliger Fälligkeit zurückzahlt – aber nur in der anteiligen Höhe der im Maastrichtvertrags festgelegten Staatsverschuldungsobergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes; das dafür benötigte Geld solle die EZB am Kapitalmarkt aufnehmen. Die dritte Strategie soll gegen die europäische Investitionskrise helfen – also dazu beitragen, dass Geld wieder produktiv angelegt wird. Dabei sollen die EZB, die Europäische Investitionsbank und der Europäische Investitionsfonds eine neue, größere Rolle spielen. Und viertens schließlich schlagen die Autoren vor, dass Sozialprogramme in allen Euroländern aus den Zinsen für Target-Salden[2] finanziert werden, die bei Verrechnungen zwischen einzelnen Zentralbanken entstehen.
Das ist teils kompliziert ausgedacht, hat aber den großen Vorteil, dass für die Umsetzung der vier Vorschläge nicht ein einziges europäisches Vertragswerk geändert werden müsste. »Sie erfordern nur eines, das bedauerlicherweise derzeit fehlt: den politischen Willen der verantwortlichen Politiker in Europa.« Man kann diesen Unwillen täglich messen: an den voreingenommenen deutschen Reaktionen auf Vorschläge der Regierung in Athen.
Yanis Varoufakis, Stuart Holland, James K. Galbraith: Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise, Kunstmann 2015, 63 Seiten; 5 Euro.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/964273.zum-glueck-unbescheiden.html