nd-aktuell.de / 13.03.2015 / Politik / Seite 2

»Halberstadt ist auch ganz schön«

Berlin hat Notunterkünfte für Flüchtlinge unter anderem in Turnhallen eingerichtet

Johanna Treblin
In Turnhallen und Traglufthallen gibt es keine Privatsphäre. Flüchtlingen gelingt es dennoch, sich einzuleben und mit Unterstützung hilfsbereiter Nachbarn zurecht zu finden.

Im Hof spielen Kinder ein Fußballturnier. »No drugs« steht auf einem Schild im Eingangsbereich des Gebäudes, die daneben abgebildete Zigarette und Pistole sind durchgestrichen. Vom Eingang führt ein langer gläserner Gang entlang zur Turnhalle - ein alter Backsteinbau mit Basketballkorb am hinteren Ende. Vorne stehen ein paar Turnbänke - ansonsten erinnert wenig an einen Sportraum. Im größten Teil der Halle sind Doppelstockbetten aufgestellt, die unteren Schlafstätten sind mit Betttüchern abgehängt. Die Turnhalle in Berlin-Kreuzberg ist eine von acht, die vom Senat umgewidmet wurden, um hier Flüchtlinge unterzubringen.

Auch Naim wohnt in der Turnhalle in der Mariannenstraße. Er ist mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Kindern aus Kosovo nach Deutschland gekommen. Zuerst waren sie in München, weil er die Stadt bereits kannte. Vor rund 20 Jahren lebte er dort schon einmal - für fast zehn Jahre. Er hatte eine Aufenthaltserlaubnis, die jeweils für einen Monat, manchmal nur für eine Woche verlängert wurde - bis der Krieg in seiner Heimat beendet war und er wieder zurück musste. Deshalb durfte er auch keinem regulären Job nachgehen. »Ich hätte gerne gearbeitet«, sagt Naim. Stattdessen lernte er Deutsch. Ein paar Wochen lang nahm er jeden Tag eine Stunde Unterricht in einer Kellerwohnung, erinnert er sich. Das meiste hat er aber auf der Straße gelernt, und heute spricht er fast fließend Deutsch.

Als Naim Anfang dieses Jahres nach München kam und sich bei den Behörden meldete, ließ man ihn nicht bleiben, sondern schickte ihn mit seiner Familie weiter nach Halberstadt. »Halberstadt war auch schön«, sagt Naim. Bleiben konnten sie dort aber nicht - die Flüchtlingsunterkunft war lediglich für allein reisende Männer eingerichtet, nicht für Familien. Also wurden sie weiter nach Berlin geschickt. Als sie hier ankamen, dachte Naim zunächst: »Irgendwas stimmt hier nicht.« Erst nach einer Weile kam er darauf, was er meinte: In München sei es viel sauberer gewesen.

Lediglich wenige Wochen ist die Familie hier, Naim wird aber schon unruhig. »Ich habe Zeit und will etwas tun!« Also übersetzt er bei Behörden- oder Arztgängen für seine Mitbewohner, die nicht so gut Deutsch sprechen. Oder er putzt. Während seine Frau heute die gesamte Notunterkunft gesäubert hat, hat Naim Müll nach draußen gebracht und den Außenbereich aufgeräumt. In der Unterkunft hatte es Windpocken gegeben, die betroffene Familie wurde in eine Einzelunterkunft gebracht, aber Naim hat noch von einer anderen Krankheit gehört, die in Berlin umgeht und ihm Sorgen bereitet: Masern. Deshalb versucht seine Familie, hier alles hygienisch rein zu halten, sicher vor Keimen und Viren. Natürlich wird hier aber auch regulär geputzt.

Die Notunterkunft in der Mariannenstraße wurde am 26. Januar eröffnet. Zuvor hatten die Johanniter, die die Unterkunft betreiben, dazu aufgerufen, bei der Einrichtung der Halle zu helfen. An besagtem Samstag kamen 20 bis 30 Menschen vorbei, erzählt Gunnar Franke, Leiter der Einrichtung. Ein Tischler baute einen Kindertisch und brachte die Duschstangen an. Nachbarn brachten Buggys und Kinderbetten. Seitdem kamen immer wieder Menschen vorbei, die ihre Hilfe anboten. Eine Ärztin aus der Umgebung wusch Wäsche für die Bewohner. Mittlerweile gibt es in der Notunterkunft auch eine Waschmaschine und einen Trockner sowie Wäscheleinen.

Eine andere Nachbarin gibt den Kindern Sprachunterricht. Kurse für Erwachsene werden bisher nicht angeboten. Auf Naims Bett ist eine deutsche Tageszeitung ausgebreitet, so versucht er, weiter Deutsch zu lernen. Alle Habseligkeiten seiner Familie liegen auf oder unter den Betten. Solange er nichts wegschließen kann, will Naim die Unterkunft so selten wie möglich mit seiner Familie verlassen. »Ich muss auf meine Sachen aufpassen.« Spints fehlen noch, sollen aber bald nachgeliefert werden.

»Man lernt ja immer wieder dazu«, sagt seinerseits Gunnar Franke. Im Dezember hatten die Johanniter eine Flüchtlingsunterkunft in Dahlem übernommen. 200 Menschen wurden dort in einer Turnhalle untergebracht. In den Medien wurde die Lage als schwierig beschrieben: Es gab keine Waschmöglichkeit für Wäsche, keine Spinte, keine Privatsphäre, viel Lärm. »Dahlem war aus der Not geboren«, sagt Franke heute. An einem Donnerstag bekamen die Johanniter einen Anruf, ob sie die Leitung der neuen Notunterkunft übernehmen würden. Sie sagten zu, und am nächsten Tag standen schon die Flüchtlinge vor der Tür. Mittlerweile haben die Johanniter die Unterkunft abgegeben an die Arbeiterwohlfahrt (AWO). »Wir wollten lieber eine kleinere Einheit betreuen«, erklärt Franke. Jetzt leiten sie nur noch die Einrichtung in der Mariannenstraße, mit 50 Betten wesentlich kleiner als jene in Dahlem. Die Johanniter betreuen die Unterkunft selbst, während andere Betreiber Sicherheitsdienste anheuern. Hier ist nur der Türsteher extern beauftragt.

In der Notunterkunft wohnen Syrer und eine Vietnamesin. Außer den Betttüchern gibt es auch hier kaum Möglichkeit, sich ein wenig Privatsphäre zu schaffen. »Die Halle ist denkmalgeschützt«, sagt Franke. Das macht An- und Umbauten schwierig. »Und wegen dem Brandschutz sind Trennwände problematisch.«

Die meisten Bewohner sind Kosovaren wie Naim. Er weiß, dass es nicht leicht ist, in der Bundesrepublik eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Seit Anfang des Jahres wird verstärkt darüber diskutiert, das Kosovo als »sicheres Herkunftsland« einzustufen, um Asylbewerber leichter abschieben zu können. Zuletzt hatten Bayerns katholische Bischöfe Anfang März diese Einstufung abgelehnt. Das Land sei nicht sicherer, sondern unsicherer geworden. »Vielleicht fahren wir weiter nach Frankreich, dort werden Kosovaren nicht so schnell zurückgeschickt«, überlegt Naim.

Zunächst hatte der Berliner Senat im Dezember ziemlich kurzfristig sieben Turnhallen umgewidmet. Anschließend wurde in den Bezirken nachgefragt, welche Einrichtungen sich für weitere Notunterkünfte eignen würden. Kreuzberg schlug die Turnhalle am Mariannenplatz vor, die vom Verein Pfefferwerk e.V. mit Sitz im Prenzlauer Berg betrieben wird und in der sich normalerweise Sportgruppen treffen. Die konnten alle in anderen Einrichtungen untergebracht werden.

Vorerst soll die Notunterkunft bis zum 10. April bestehen. Was dann mit den Flüchtlingen passiert? »Ich hoffe, dass sie bis dahin alle in vernünftigen Unterkünften untergekommen sind«, sagt Franke.