Am Ende ist die Müdigkeit überall und allumfassend: Sie ist in Fernsehsendungen und bei Wahlkampfauftritten zu erkennen. »Hoffentlich ist es bald vorbei«, sagen allerorten die Wähler. Und die Kandidaten beginnen, Fehler zu machen. »Wir werden Netanjahu nicht teilen«, faselte Jitzhak Herzog, Spitzenkandidat der Zionistischen Union, einem Bündnis aus Arbeiterpartei und Zentristen; natürlich meinte er Jerusalem. Und Likud-Chef Benjamin Netanjahu ließ sich zu der Aussage hinreißen, die Räumung der Siedlungen im Gaza-Streifen hätte verhindert werden können, wenn die Wähler bei den Wahlen 2006 für den Likud gestimmt hätten. Nur: Der Abzug fand bereits im Sommer 2005 statt. Und er wurde von einer Likud-geführten Regierung betrieben, in der Netanjahu selbst saß.
Es war, es ist ein langer, ein harter Wahlkampf, der für Netanjahus Konkurrenz unter dem Motto steht: »Jeder außer Bibi« - Netanjahus Spitzname. Mit Verve versuchte das Pro-Netanjahu-Lager die beiden Widersacher von der Zionistischen Union, Herzog und Ex-Außenministerin Zipora Livni, zu diskreditieren. Sie seien eine Gefahr für die Sicherheit, für das Fortbestehen des Staates. Nur Netanjahu könne der internationalen Gemeinschaft im Angesicht des iranischen Nuklearprogrammes die Stirn bieten. Im Anti-Bibi-Lager arbeitete man sich derweil an jeder persönlichen oder politischen Verfehlung Netanjahus ab, der zunächst Ende der 90er Jahre für kurze Zeit Premier war, und dann 2009 und 2013 weitere zwei Mal die Regierung bildete.
Dabei wurde der Wahlkampf in den vergangenen Wochen vor allem vom Streit um Netanjahus Rede vor dem US-Kongress dominiert: Sein Auftreten dort war nahezu vollständig auf die nahende Wahl und das iranische Atomprogramm zugeschnitten. »Wenn man über die Lebenshaltungskosten spricht, dann darf man das Leben selbst nicht vergessen; die größte Gefahr für Israel ist Iran«, hatte Netanjahu bei Facebook posten lassen und damit in sozialen Netzwerken ausgesprochen heftige Reaktionen hervorgerufen: Er habe völlig den Realitätssinn verloren, so der überwiegende Tenor.
Bis zuletzt zeichneten sich für den Likud in den Umfragen mehr als 20 der 120 Parlamentssitze ab, die Partei des Regierungschefs wechselte sich mit der Zionistischen Union auf dem Spitzenplatz ab. Aber viele Wahlentscheidungen werden in jenen vier Tagen vor der Wahl getroffen, in denen keine Umfragen mehr veröffentlicht werden dürfen. Und bis zu 15 Prozent der Wahlbereiten waren am vergangenen Freitag noch unentschieden.
Darüber hinaus kommt es letzten Endes auf die Koalitionsentscheidungen der anderen Parteien an. 26 Listen stellen sich zur Wahl; elf davon dürften es über die 3,25-Prozent-Hürde schaffen. Die Arabische Liste, die linke Meretz, die Zionistische Union und die zentristische Jesch Atid haben eine Koalition unter Führung Netanjahus grundsätzlich ausgeschlossen. Für Netanjahu haben sich der Likud, Jüdisches Heim und die ultrarechte Jachad ausgesprochen. Die beiden ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Tora-Judentum sowie Jisrael Beitenu von Außenminister Avigdor Lieberman haben keine Aussage getroffen, weisen aber einen Drall nach rechts auf. Nach beiden Seiten offen ist derweil die Neupartei Kulanu des Ex-Likudniks Mosche Kahlon.
Eine rein rechts-religiöse Mehrheit könnte allerdings ohnehin von den Mandaten Jachads abhängen, die auch für viele Rechte als unkoalierbar gilt. Denn auf deren Liste tritt der Rechtsextremist Baruch Marsel an, nachdem der Oberste Gerichtshof ein Verbot seiner Kandidatur aufgehoben hat. Marsel wird für eine lange Liste von Übergriffen auf Palästinenser verantwortlich gemacht. Sollten in diesem Fall nicht alle rechten und religiösen Parteien in den sauren Apfel beißen oder eine Partei aus dem Zentrum Bereitschaft signalisieren, mit Netanjahu zu koalieren, würde Präsident Reuven Rivlin den Auftrag zur Regierungsbildung wohl an Herzog und Livni geben - die dann allerdings entweder den Likud oder die religiösen Parteien ins Boot holen müssten. Doch die religiösen Parteien wollen nicht mit Jesch Atid in einer Regierung sitzen. Und für Netanjahu dürfte es schwer werden, die Nummer zwei zu sein. In diesem Wahlkampf wurden viele Tischtücher zerschnitten.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/965099.viele-zerschnittene-tischtuecher.html