Belgrad. Aus seinem Entsetzen über die unerwartete Botschaft aus Budapest machte Serbiens Regierungschef keinen Hehl. Er sei »überrascht und geschockt«, reagierte Premier Aleksander Vucic auf die Meldung, dass Ungarns Regierung zur Abwehr ungewollter Immigranten die Errichtung eines vier Meter hohen Zauns an der 175 Kilometer langen EU-Außengrenze zu Serbien plane. »Sollen wir nun etwa auch Zäune an unseren Grenzen zu Bulgarien und Mazedonien errichten? Wir werden uns nicht abschließen und wie in Auschwitz leben.«
Noch deutlichere Worte findet Serbiens Presse. »Serbien ist kein Lager«, titelte am Freitag verärgert die Zeitung »Blic«, die von einer »groben Beleidigung« durch die Nachbarn spricht. Budapest kokettiere auch mit seiner fremdenfeindlichen Plakataktion mit einer Ideologie, »von der wir gehofft hatten, dass sie im heutigen Europa längst Vergangenheit ist«, klagt das Blatt: »Bei uns weiß man ganz genau, wann und wo man sich mit Stacheldraht abgrenzte. Und das wissen auch die Ungarn.«
Doch es sind nicht nur verletzter Stolz und die Erinnerungen an die Vergangenheit, die den EU-Anwärter kurz vor der gemeinsamen ungarisch-serbischen Kabinettssitzung am 1.Juli kräftig verstimmen. Fast alle der Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Afghanistan, die über Serbien als wichtigstes Transitland der so genannten Balkan-Route in Richtung der ungarischen Schengengrenze und Westeuropa ziehen, sind über die EU-Staaten Bulgarien und Griechenland nach Europa gelangt. »Wir versorgen natürlich die Leute. Aber Serbien trägt an deren Einreise keine Schuld«, ärgert sich Premier Vucic.
Betrug die Zahl der in Serbien gestellten Anträge 2014 rund 12.000, hat sich diese Zahl in den ersten fünf Monaten des Jahres mit 22.000 fast verdoppelt. Die Dunkelziffer der Flüchtlinge, die ohne einen Asylantrag das Land durchziehen, wird auf ein Mehrfaches geschätzt. Die meisten müssen während ihres Verbleibs in Serbien wegen fehlender Auffanglager unter freien Himmel übernachten. Hilfsorganisationen fürchten, dass mit dem neuen Grenzzaun und verstärkten Abschiebungen aus Ungarn im Winter eine humanitäre Katastrophe drohen könnte, da viele der Immigranten im Norden des Landes »hängen« bleiben könnten.
Sorgen werden jedoch auch bei Serbiens EU-Nachbarn laut. Denn die Erfahrungen mit der ähnlichen Verstärkung der griechischen und bulgarischen EU-Außengrenzen zur Türkei zeigen, dass neue Zäune Immigrations- und Schlepper-Routen zwar umlenken, die Flüchtlinge aber kaum stoppen: Ein neuer Zaun an der Grenze zu Serbien dürfte in Kroatien und Rumänien und damit auch an der Südwest- und Ostgrenze Ungarns für einen verstärkten Andrang von Flüchtlingen sorgen.
Denkbar scheint, dass die bisher kaum genutzte Schwarzmeer-Route von der Türkei direkt zum Schengenanrainer Rumänien künftig verstärkt frequentiert werden könnte. Vor allem Kroatiens EU-Außengrenze zu Bosnien und Herzegowina ist kaum lückenlos zu kontrollieren. »Will Ungarn auch eine Mauer an der Grenze zu Kroatien errichten?«, fragt sich bereits besorgt der »Jutarnji List«.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/975135.ungarn-provoziert-seine-nachbarn.html