Auch der Zeitschrift »Spex« ist, wie’s scheint, zuallererst das schwer »durchgeknallte Artwork« auf der CD aufgefallen: »Def Leppard trifft auf Designbüro Metahaven trifft auf Zooperaismus.« Die Rede ist hier vom Cover des Albums »Choose Your Weapon«, das wiederum vom derzeit heftig gelobten australischen Neo-Soul-Quartett Hiatus Kaiyote eingespielt wurde. Das Cover sieht unglücklicherweise tatsächlich ein wenig so aus, als sei es von einem überambitionierten Heavy-Metal-Fan im LSD-Rausch zusammenmontiert worden: Zu sehen ist der farbenfroh gemalte Kopf eines Mandrills, der das Maul aufreißt und von dessen menschlichen Händen, die aus dem Dunkel ragen, giftgrüne Flammen aufsteigen. Beigefügt ist diesem Bildmotiv zu allem Überfluss eine Schriftart (ebenfalls in schreienden Farben gehalten), die man von schlechten Hardrockplatten kennt und die man wohl aus Gründen des guten Geschmacks seit Mitte der 80er Jahre vermieden hat, weil sie die Buchstaben wie überdimensionierte futuristische Teppichmesser aussehen lässt.
Wie dem auch sei: Wem es gelingt, die CD mit geschlossenen Augen aus der Hülle zu nehmen und sich ganz der Musik zuzuwenden, dem fällt rasch auf, dass hier angenehm experimentierfreudige Freunde und Freundinnen des Funk am Werke sind, die »ebenso von Stevie Wonder wie vom Blue-Note-Jazz gelernt« haben (»Spex«). Mit der öden Neo-Soul-Welle, die derzeit durchs Land schwappt, hat dieses Album also nichts zu schaffen.
Der Sound ist ein buntes Durcheinander aus psychedelisch angehauchtem Soul-Funk-Jazz, nervtötendem 70er-Jahre-Jazzrock-Fusion-Georgel und -Gedaddel, 70er-Jahre-Herbie-Hancock-Piano, fröhlich-quirligem Elektrogebrumm und -gemurkse, Plastikperlenvorhanggerassel und überkandidelter Klangeffekthascherei. Er will vermutlich in die Zukunft weisen.
»Polyrhythmisch« wird das hypernervöse und ins Vertrackte verliebte Getrommel und Percussion-Geruckel in vielen Rezensionen gerne genannt: Mit beständigen Breaks und komplexen Rhythmuswechseln scheint die Gruppe vorführen zu wollen, wie virtuos und clever sie das Erbe ihrer funky Vorbilder aus den 70ern pflegt und tatsächlich in die Zukunft transzendiert. Und auch Nai Palm, die Sängerin und Songschreiberin der Gruppe, fällt auf mit ihrer Stimme, mit der sie sich, unentwegt die Tonlage und die Dynamik wechselnd, durch die Stücke haucht, gurrt, kiekst und jodelt. Wäre ein Popalbum eine reine Leistungsschau, müssten die Punktrichter hier wohl das Schild mit der Zehn rausholen: Sauber! Tonleiter zweimal rauf, zweimal runter! Super! Alle Klangfarben drin! Und superkomplizierte überspannte Rhythmenspielereien! Ein Album voller »futuristischem« bzw. »kosmischem Soul« (steht so auch in praktisch allen Rezensionen des Albums). Natürlich wurde in kaum einem Artikel über die Band versäumt, vom Reklamezettel der Plattenfirma abzuschreiben und darauf hinzuweisen, dass u.a. der Soul-Funk-Jazz-Experte und DJ Gilles Peterson und so verdienstvolle Künstler aus dem Soul-Funk-R&B-HipHop-Universum wie Prince, Pharrell Williams und Erykah Badu ganz vernarrt in den Sound sind. Mag sein.
Hiatus Kaiyote, 14. Juli, 21 Uhr, »Neue Heimat«, Revaler Straße 99
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/977769.soulgedaddel-hypernervoes.html