Die DHKP-C hat sich am Dienstag zu dem Anschlag auf das US-Konsulat in Istanbul bekannt. Dabei war vergleichsweise wenig passiert. Gegen das Gebäude, das eher eine Festung denn eine diplomatische Vertretung ist, konnten die beiden Frauen mit ihren Handfeuerwaffen so gut wie nichts ausrichten. Eine der beiden Angreiferinnen wurde festgenommen, die andere konnte fliehen.
Dass eine US-Einrichtung als einzige ausländische Vertretung Ziel einer Attacke wurde, kam nicht unerwartet. Während sich die westeuropäischen NATO-Verbündeten äußerst reserviert verhalten gegenüber dem militärischen Vorgehen der türkischen Regierung gegen Kurden und Linke, hat Washington dem Kurs Ankaras demonstrativ seine Absolution erteilt. So war es bereits in der Vergangenheit. Zuletzt hatte im Februar 2013 ein DHKP-C-Kämpfer die US-Botschaft in Ankara angegriffen und war dabei erschossen worden.
Die Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) ist eine Nachfolgeorganisation der Kommunistischen Partei der Türkei, die unter verschiedenen Namen und in sich ändernden Organisationsformen bereits seit 1920 existiert. Es gibt kein Land in Europa, wo Kommunisten und überhaupt Linke auf so barbarische Weise verfolgt wurden. Selbst als die Diktaturen in Griechenland, Portugal und Spanien Mitte der 70er Jahre ausgedient hatten und mit ihnen die physische Vernichtung alles Linken als Staatsdoktrin, ging in Ankara der Terror von Regierungsseite weiter. Haydar Kutlu und Nihat Sargin waren in den 80er Jahren die einzigen Führer einer linken Partei in Europa, die im Gefängnis saßen, weil sie eben genau das waren. Die NATO-Verbündeten, auch die BRD, nahmen das seinerzeit kritiklos zur Kenntnis.
Noch wesentlich schlimmer erging es DHKP-C-Mitgliedern. Sie wurden erbarmungslos verfolgt, viele von ihnen zu langjährigen bis lebenslangen Haftstrafen unter KZ-ähnlichen Bedingungen in sogenannten Typ-F-Gefängnissen - amtlich: geschlossenen Hochsicherheitsstrafvollzugsanstalten - verurteilt. Gegen Letzteres wehrten sich Dutzende Häftlinge 1996 mit einem Hungerstreik. Mindestens zwölf von ihnen überlebten ihn nicht.
Der Widerstand brach dennoch nicht zusammen. Im Jahr 2000 beteiligten sich etwa 1000 Häftlinge am Todesfasten. Dies erregte inzwischen auch internationales Aufsehen. Die türkische Regierung entschied sich aber nicht etwa dafür, Forderungen nachzugeben. Vermittlungsversuche von Prominenten wie Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk wurden brüsk zurückgewiesen. Im Dezember jenes Jahres stürmten Spezialkommandos der türkischen Polizei in mehreren Gefängnissen Räume, in denen Häftlinge fasteten. Mindestens 30 Gefangene starben dabei.
Die DHKP-C sieht sich im Krieg mit dem türkischen Staat, der von ihr nur als Terroristen spricht. Auch die EU stuft sie als Terrororganisation ein. Sie rechtfertigt das mit Attentaten, die von der DHKP-C immer wieder aus dem Untergrund heraus verübt wurden. Es ist nun tatsächlich eine »Spirale der Gewalt«, von der die Türkei jetzt erfasst ist. Jedoch verschleiert dieser Begriff, auf welch massive Weise nicht nur die aktuelle Regierung, sondern praktisch alle Kabinette der vergangenen 25 Jahre systematisch die Menschenrechte verletzt haben.
Dennoch fragt gerade die bei den Parlamentswahlen des Frühjahrs so erfolgreiche Demokratische Partei der Völker (HDP), ob es denn politisch klug ist, den türkischen Staat mit militärischen Aktionen zu provozieren, die doch nicht mehr als Nadelstiche sind und dem auf blanken Militarismus setzenden Flügel der Regierung die Handhabe für seinen Kurs der Repression liefern. In den Augen von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan macht das die HDP weitaus gefährlicher als die DHKP-C.
Letztere schrieb nach dem Anschlag auf das Konsulat auf ihrer Website, die USA seien ein »Feind der Menschen im Nahen Osten«. Die festgenommene Frau sei eine »Revolutionärin«, die gegen die amerikanische Unterdrückung kämpfe. Der Kampf werde weitergehen, bis alle Stützpunkte der USA in der Türkei beseitigt seien. Damit kann Erdogan gut leben und seinen aggressiven Kurs nach innen wie nach außen rechtfertigen. Auch die Arbeiterpartei Kurdistans sieht sich deshalb wie auch die Regierung von der HDP aufgefordert, die Gefechte zu beenden und die unterbrochenen Verhandlungen über eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts wieder aufzunehmen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/980937.machtdemonstration-am-bosporus.html