Zwischen den Wohnwagen hängen Wäscheleinen, unter denen Kinder hindurchrennen; die Essendüfte ver-mengen sich in der warmen Luft zu einer undefinierbaren Wolke. »Das ist unsere Heimat seit zehn Jahren«, sagt Beni Cohen, 52. Einst wohnten er, seine Frau, die beiden damals drei und vier Jahre alten Kinder in Gusch Katif. Doch dann kam im August 2005 das israelische Militär und forderte die Familie auf, ihr Haus, die Siedlung, den Gaza-Streifen zu verlassen. »Seitdem ist nichts mehr, wie es war«, sagt Cohen: »Wir haben keine Arbeit, kein festes Haus. Unterstützung von der Regierung? Fehlanzeige.«
Aussagen wie diese bekommt man immer wieder zu hören, wenn man mit den einstigen Siedlern spricht. »Um das in die richtige Perspektive zu rücken, müssen wir erst einmal das Wort ›Unterstützung‹ definieren«, sagt Ephraim Wolfson vom Innenministerium. »Viele der Leute haben damals bis zur allerletzten Minute gewartet, keine Vorbereitungen für die Zeit nach der Räumung getroffen und uns dann mit exakten Forderungen konfrontiert, die einfach nicht zu erfüllen waren.«
Ganze Städte, die den geräumten Siedlungen möglichst ähnlich sehen, wurden mittlerweile im israelischen Kernland gebaut. Doch viele der einstigen Siedler halten an ihrer Verweigerungshaltung fest. »Irgendwas finden sie immer nicht in Ordnung«, sagt Wolfson.
Dahinter steckt Strategie: »Die ehemaligen Gaza-Siedler gehören zu den wichtigsten Verteidigern der Siedlungen in Judäa und Samaria«, sagt ein Mitarbeiter der Siedler-Lobby Jescha. Judäa und Samaria - so nennt auch die Regierung das besetzte palästinensische Westjordanland. Solange es die Wohnwagenparks gebe, habe man ein Warnzeichen, dass der Öffentlichkeit zeige, was passiere, wenn man sich an die Räumung weiterer Siedlungen wage.
Doch es gibt auch diese Realität: Als in der Nacht vom 15. auf den 16. August 2005 offiziell die Räumung der 21 Siedlungen im Gaza-Streifen und von vier Ortschaften im nördlichen Westjordanland begann, waren jene, die wegen der günstigen Immobilienpreise in den Gaza-Streifen gezogen waren, längst umgezogen, hatten neue Wohnungen und Jobs gefunden.
Die Räumung des Gaza-Streifens hatte allerdings auch politische Folgen: Monatelang wurde Israel damals von Protesten rechter Israelis in Atem gehalten; die Bilder von Soldaten, die Jugendliche aus Häusern tragen, sind heute eines der Hauptargumente, mit denen jüdische Extremistengruppen ihre Gewaltbereitschaft rechtfertigen. Für den rechten Rand der israelischen Rechten ist mit der Räumung Gazas der Staat zum Feind geworden, wobei die Situation in Palästina dafür den Unterbau liefert.
Dort schrieb sich die Hamas die Räumung als Erfolg auf die Fahnen; 2007 übernahm sie ihm Gaza-Streifen nach bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften der Regierung in Ramallah das Kommando. Drei Mal, zuletzt vor einem Jahr, gab es Kriege zwischen Israel und Milizen im Gaza-Streifen.
Israels Rechte macht dafür unmittelbar den Rückzug von 2005 aus Gaza verantwortlich, obwohl die Likud-Fraktion, die damals mit Ariel Scharon den Premierminister stellte, überwiegend für die Räumung gestimmt hatte und auch der heutige Regierungschef Benjamin Netanjahu erst in allerletzter Minute von seinem damaligen Ministerposten zurückgetreten war. Immer wieder wird gefordert, man möge das Siedlungsprojekt im Gaza-Streifen neu beleben; nur so könne man die Lage dort kontrollieren.
Doch tatsächlich hatte sich die Situation im Gaza-Streifen schon lange bevor Scharon seinen Plan bekannt gab, zugespitzt: Immer wieder wurden die Siedlungen angegriffen; zu ihrem Schutz waren massive Truppenkontingente erforderlich - die wiederum an der Grenze zu Libanon und Syrien fehlten.
Gleichzeitig hatte die Hamas schon seit Beginn der zweiten Intifada an Unterstützung in Gaza gewonnen. Dass sie dann die Macht übernehmen konnte, dürfte eher am Tod des palästinensischen Übervaters Jassir Arafat und den politischen Konstellationen nach den Parlamentswahlen Anfang 2006 gelegen haben. Damals holte die Hamas die Mehrheit, was zu einem Boykott Gazas durch die westlichen Geldgeber führte. Dies sei, wie man nun weiß, die Phase gewesen, in der der Grundstein für die heutige Situation in Gaza gelegt wurde, heißt es in einem Bericht des Militärs an den Verteidigungsausschuss der Knesseth: »Hätte es die Siedlungen noch gegeben, wäre die Lage sehr viel komplizierter gewesen.«
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/981163.blick-zurueck-im-zorn-auf-gaza.html